Gipfel-Gefühle im politischen Flachland

Berlin · Familiengipfel, Frauengipfel, Energiegipfel, Pflegegipfel, Krippengipfel, Bildungsgipfel, Integrationsgipfel, IT-Gipfel. Wann immer ein Problem auftaucht, trifft sich die Regierung mit den Spitzen des betreffenden Bereichs, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Oder so zu tun. Erst gestern fand in Berlin ein groß angekündigter Demografiegipfel statt, bei dem die Kanzlerin sprach. Zwar gab es solche "Gipfel" auch schon früher, aber erst Angela Merkel hat sie regelrecht zum System gemacht. Aus dem inzwischen eine Masche geworden ist.

Klopft man die "Gipfel" nach ihren Ergebnissen ab, zeigt sich der Niedergang. Eine geradezu beispielhafte Veranstaltung war noch der Bildungsgipfel 2008. Kurz vor der Bundestagswahl hatte die Kanzlerin damals das Thema entdeckt. Beim Treffen mit den Länder-Ministerpräsidenten erreichte sie konkrete Verabredungen zum Ausbau der Kinderbetreuung, zur Senkung der Zahl der Schulabbrecher und zur verbesserten Weiterbildung. Es wurden überprüfbare Zielvorgaben formuliert, wie man es auch in großen Firmen macht. Das war in ihren ersten Regierungsjahren eine beliebte Methode Merkels. Einige der Ziele wurden komplett, einige teilweise und andere gar nicht eingehalten. Trotzdem gibt es keinen neuen Termin für einen Bildungsgipfel. Die Kanzlerin hakt nicht nach, wenn es holprig wird.

Auch bei der Elektromobilität gab es 2010 eine klare Übereinkunft: Eine Million E-Autos sollten bis 2020 auf Deutschlands Straßen rollen. Es gab einen Folge-Gipfel im Jahr 2011, aber inzwischen gilt das Ziel als unerreichbar. In zwei Wochen ist ein neues Treffen geplant, nun als allgemeiner internationaler E-Auto-Gipfel und ohne Ziel. Immerhin noch mit einer Mini-Reform endeten diverse Pflegegipfel. Die 2006 begonnenen Integrationsgipfel ergaben einen - allerdings unverbindlichen - "nationalen Integrationsplan". Die Energiegipfel wiederum dienten lediglich der Umsetzung bereits getroffener Entscheidungen, nämlich des Atomausstiegs. Fast komplett sinnfrei waren die Familien- und Frauengipfel, weil die Regierung hier selbst noch eine Linie sucht. Es waren Zusammenkünfte frei nach dem Motto: Im Flachland kann man sich auch auf einem Hügel erhaben fühlen.

Manchmal wäre es besser, die Veranstaltungen bescheidener "Konferenz" zu nennen. Denn oft sind es nur unverbindliche Treffen, bei denen nichts entschieden wird. Das fällt nicht nur der Opposition auf (SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück: "Über allen Gipfeln ist Ruh"), sondern auch den Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Zunehmend reisen die Teilnehmer ohne Erwartungen an oder lassen sich gar entschuldigen. Merkel hat es übertrieben.

Der zweite "Demografiegipfel" gestern hatte ebenfalls nur die Qualität einer Fachkonferenz. Der 2012 begonnene "breite, ebenenübergreifende Dialogprozess" werde fortgesetzt, frohlockte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Die Kanzlerin wurde kaum konkreter. Sie durchstreifte alle Problembereiche von Pflege bis Fachkräftemangel und schloss mit der bahnbrechenden Erkenntnis: "Wir haben gute Chancen, den Prozess des demografischen Wandels zum Guten zu gestalten."

Übrigens: Der ultimative Gipfel ist schon in Planung. Für den 4. Juli hat Merkel Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften zum "Zukunftsgipfel" ins Regierungs-Gästehaus Schloss Meseberg geladen. Gipfeliger geht's nicht.

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