Gesundheitssystem soll mit Rotstift geheilt werden

Berlin. Die Herausforderung ist gewaltig: Im kommenden Jahr werden den gesetzlichen Krankenkassen mindestens elf Milliarden Euro fehlen. Früher erhöhten sie einfach die Beiträge. Aber seitdem die Regierung einen allgemeinen Beitragsatz vorgibt und der Erhebung kassenspezifischer Zusatzbeiträge gesetzliche Grenzen gesetzt sind, wird es für die Finanzierung des Gesundheitswesens immer enger

Berlin. Die Herausforderung ist gewaltig: Im kommenden Jahr werden den gesetzlichen Krankenkassen mindestens elf Milliarden Euro fehlen. Früher erhöhten sie einfach die Beiträge. Aber seitdem die Regierung einen allgemeinen Beitragsatz vorgibt und der Erhebung kassenspezifischer Zusatzbeiträge gesetzliche Grenzen gesetzt sind, wird es für die Finanzierung des Gesundheitswesens immer enger. Mit einer Kombination aus gestaffelten Beiträgen und einer vom Einkommen unabhängigen Kopfpauschale wollte Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) für Abhilfe sorgen. Aber die CSU kanzelte das Modell als untragbar ab. Eine Klausurtagung der Gesundheitspolitiker von Union und FDP soll nun am Wochenende den dicken gordischen Knoten durchschlagen. Das Zauberwort heißt Sparen. Um mindestens vier Milliarden Euro sollen die Ausgaben im kommenden Jahr begrenzt werden. So haben es die Chefs der Koalitionsparteien verfügt. Im schwarz-gelben Lager wurde dazu gestern über eine Rotstiftliste gesprochen, die von den beiden CDU-Abgeordneten Jens Spahn und Rolf Koschorrek erarbeitet worden war. Sie sieht Kürzungen von 2,2 Milliarden Euro bei den Verwaltungskosten der Kassen, bei den Zuwendungen für Kliniken sowie bei der Vergütung von Ärzten und Apothekern vor. Zusammen mit Röslers Arzneimittelsparpaket, von dem sich der Minister ein Plus von zwei Milliarden Euro verspricht, wäre die Vorgabe mehr als erfüllt. Allerdings nur auf dem Papier. "Das ist alles sehr optimistisch gerechnet", bemängelte der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, gestern gegenüber unserer Zeitung. Nach seiner Überzeugung wird das Arzneimittelsparpaket kaum mehr als 500 Millionen Euro bringen. So sieht Röslers Konzept ein rückwirkendes Preismoratorium vor. Bis es in Kraft tritt, müssen die Kassen aber erst einmal zusätzlich zahlen, denn viele Hersteller haben ihre Arznei-Preise zum Januar 2010 noch mal schnell erhöht. Rückerstattungen sind nicht vorgesehen. Auch wenn das Sparpaket wie geplant ab 2011 Gültigkeit hätte, kämen wichtige Maßnahmen nur mit Verzögerung in Gang. Ein Beispiel sind die vorgeschriebenen Preisverhandlungen zwischen Herstellern und Kassen, um die Kosten bei neuen Medikamenten zu drücken. Die brauchen Zeit. Außerdem ist die Pharmaindustrie sehr kreativ bei der Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten für ihre Produkte. Auch die Streichliste der beiden CDU-Fachleute hat ihre Tücken. Demnach sollen zum Beispiel 350 Millionen Euro bei den Verwaltungsausgaben der Kassen gespart werden. "Wenn wir Preisverhandlungen mit den Pharmaanbietern führen sollen, brauchen wir aber auch gute Fachleute, die mit am Tisch sitzen", hieß es gestern beim Spitzenverband der Krankenkassen.Doch selbst wenn es gelänge, vier Milliarden Euro im System zu streichen, hätten die Versicherten noch einen dicken Brocken zu schultern. Zusammen mit einem versprochenen Extra-Zuschuss aus Steuergeldern in Höhe von zwei Milliarden Euro bliebe nämlich immer noch eine Finanzierungslücke von fünf bis sechs Milliarden Euro bei den Kassen übrig. Rein rechnerisch sind das monatlich zehn Euro Zusatzbeitrag pro Kassenmitglied. Nach der geltenden Regelung darf dieser Obolus aber ein Prozent des Einkommens nicht übersteigen. Auch diesem Problem muss sich die Experten-Klausur stellen.

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