Gesunde Nahrung kostet 21 Cent pro Tag

Brüssel. In den Milchseen herrscht Ebbe, die Butterberge wurden abgebaut, in den Lagerhallen gibt es gähnende Leere. Landwirte, die einst auf ihrer Wiese Bullen und Kühe hielten, pflegen heute CO2-speicherndes Grünland und bekommen dafür mehr Geld aus Fördertöpfen als früher für die Viehhaltung

Brüssel. In den Milchseen herrscht Ebbe, die Butterberge wurden abgebaut, in den Lagerhallen gibt es gähnende Leere. Landwirte, die einst auf ihrer Wiese Bullen und Kühe hielten, pflegen heute CO2-speicherndes Grünland und bekommen dafür mehr Geld aus Fördertöpfen als früher für die Viehhaltung. Wer dennoch weiter Getreide sät oder Obst erntet, muss 2680 Auflagen und 590 Standards der Europäischen Union erfüllen. Auf Europas Äckern hat ein Wandel stattgefunden, den die Kritiker dieses einzigen wirklich vergemeinschafteten Wirtschaftsbereiches gerne übersehen. Rund 40 Milliarden Euro pro Jahr an Direkthilfen für die Landwirtschaft scheinen viel. Aber sind uns gesunde und sicher verfügbare Nahrungsmittel wirklich keine 21 Cent pro Bürger und Tag wert? Das heftig umstrittene Subventionswesen muss reformiert werden. Weil es ungerecht ist. Aber die Rotstift-Orgie darf nicht zum Selbstzweck verkommen, bei der das eigentliche Anliegen der Lebensmittel-Produktion aus dem Blick gerät. In einigen Jahren werden neun Milliarden Menschen auf diesem Planeten leben. Schon heute ist die Nachfrage nach Nahrung größer als das Angebot. Drei Viertel unserer importierten Lebensmittel beziehen wir derzeit aus Entwicklungsländern, die ihre Produkte eigentlich dringend selber bräuchten. Der Umkehrschluss bereitet den langfristigen Planern nicht nur in Brüssel zunehmend Sorgen: Werden wir morgen noch genug zu essen haben? Oder wird Europa nicht nur bei der Energieversorgung, sondern demnächst auch bei Lebensmitteln abhängig, erpressbar sein? Die neue Agrar-Reform muss - anders, als der Name suggeriert - kein Rückbau, sondern eine Weiterentwicklung sein. Zwar ist es richtig, ökologische Ziele in die Nutzung der Böden einzubeziehen und sogar die Förderung der Landwirte daran zu orientieren. Ebenso wichtig wird es aber auch sein, die Produktion zumindest beizubehalten, wenn nicht gar auszubauen. Ein System, das immer mehr Bauern zum Aufgeben zwingt, wäre fatal. Das aber bedeutet auch, dass uns die Landwirtschaft auf keinen Fall weniger Geld wert sein muss, genau genommen sogar mehr. Der Preisanstieg bei einzelnen Produkten darf nur nicht bei den Spekulanten verschwinden, sondern muss die Existenz derer sichern, die unsere Nahrungsmittel herstellen. Der Kampf um kostendeckende Milchpreise hat wie in einem Brennglas gezeigt, um was es geht: Wer eine gesicherte Versorgung mit qualitativ hochwertiger Milch haben will, der sollte bereit sein, dafür auch zu bezahlen. Der Appell richtet sich zu gleichen Teilen an Brüssel wie an die Verbraucher. Die EU muss für Gerechtigkeit sorgen. Denn eklatante Unterschiede zwischen den Bauern im Osten und denen im Westen widersprechen nicht nur dem europäischen Grundgedanken der Solidarität. Sie sind auch ein Beitrag dazu, dass die Handelsketten billige Produzenten gegen jene ausspielen können, die an anderen Standorten teurer wirtschaften müssen. In den kommenden Monaten steht deshalb mehr auf dem Spiel als nur die Frage, ob man den Landwirten noch mehr und, wenn ja, wie viel Geld zubilligt. Es geht immer auch um ein System, von dem wir verlangen, dass es auch morgen noch gesunde Produkte in ausreichender Menge anbieten kann. Selbstverständlich ist das nämlich nicht.

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