Gepflegte Spitzel-Akten statt blinder Rache

Berlin · Der so genannte Sturm auf die Berliner Stasi-Zentrale heute vor 25 Jahren hat eine enorme Bedeutung. Die Aktion beendete den Versuch der SED, ihre Machtbasis unter dem neuen Namen PDS und mit dem neuen Ministerpräsidenten Hans Modrow wieder zu stabilisieren.

Letztlich beendete sie sogar die DDR. Die bis dahin friedlichen Demonstrationen schlugen im Januar 1990 zunehmend in Wut um - das Volk wollte abrechnen mit dem Unterdrückungsapparat, es wollte keinen sanften Sozialismus, sondern immer deutlicher die Wiedervereinigung. Gewalt lag in der Luft und entlud sich an jenem Abend, es gab Ausschreitungen in der Berliner Normannenstraße und vor Stasi-Zentralen in anderen Städten. Unter diesem Eindruck wurde der Wahltermin für die ersten demokratischen Volkskammerwahlen hastig auf den 18. März 1990 vorgezogen. Sie gaben den Kommunisten den Rest.

Mehr als auf direkter physischer Unterdrückung, wie sie an der Grenze und in den Gefängnissen ausgeübt wurde, beruhte das DDR-Regime auf der subtilen Repression durch den allgegenwärtigen Sicherheitsapparat. 91 000 hauptamtliche Mitarbeiter, über 100 000 Informelle Mitarbeiter - das war eine gewaltige Dimension für ein so kleines Land. Und dieser Apparat verursachte gewaltiges Leid, zerstörte Freundschaften und Ehen, zwang Menschen zu Verrat, streute Gift in die ganze Gesellschaft. Körperliche Rache wäre keine unangemessene Reaktion der Opfer gewesen, nicht in revolutionären Zeiten wie damals. Es blieb bei zerbrochenen Scheiben.

Es ist dem sehr besonnenen Verhalten der Bürgerkomitees zu verdanken, dass die Geschichte damals so ausging. Mehr noch: Aus der Demokratiebewegung, also von den Opfern des Unterdrückungsapparates selbst, kam die Idee, konstruktiv mit den Akten umzugehen. Zuerst war das die Sicherung der Bestände gegen alle Versuche, die Vergangenheit zu schreddern oder zu verbrennen. Dann die kontrollierte, gesetzlich geregelte Einsichtnahme, die Aufarbeitung. Jeder Betroffene sollte die Möglichkeit bekommen, nachzuvollziehen, was über ihn gesammelt worden war, wer wann und wie in sein Leben eingegriffen hatte. Auch die Medien und die Wissenschaft erhielten Zugang. Das dritte Element ist der Umgang mit den Tätern. Auch wenn viele Betroffene aus dem Umfeld der SED und ihrer Nachfolge-Organisationen das anders sehen mögen: Niemand, der nicht schwere Straftaten zu verantworten hatte, wurde im vereinten Deutschland wegen bloßer Zugehörigkeit zur Stasi oder wegen bloßer Tätigkeit als IM juristisch belangt. Jeder bekam eine Chance, neu anzufangen. Allerdings nicht mehr im öffentlichen Dienst oder in anderen wichtigen öffentlichen Funktionen. Verglichen mit der Inhumanität des Regimes war der Furor der Rächer höchst milde.

Millionenfach verlangten Bürger Akteneinsicht, auch jetzt noch gibt es monatlich 5000 Anträge. Die Stasi-Aufarbeitung in Deutschland ist ein gewaltiger Erfolg. Sie hat die Situation befriedet und zudem aufgeklärt, wie menschenverachtend solche Systeme sind - letztlich übrigens auch für die Täter, von denen nicht jeder freiwillig mitmachte. Viele Länder, die ähnliche Diktaturen hinter sich haben, nehmen sich diese Art des Umgangs mit der Vergangenheit zum Vorbild. Und es ist zum 25. Jahrestag der Ereignisse ein schönes Symbol, dass der erste Präsident und Namensgeber der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck , nun Bundespräsident ist.

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