Georgien ist bereit, Europa noch lange nicht

Tiflis · Wer vom Flughafen der georgischen Hauptstadt Tiflis ins Zentrum fahren will, der nimmt seinen Weg über die George-W.-Bush-Straße.

Vor dem Obersten Gerichtshof der Kaukasus-Republik hängen zwei Fahnen: die weiß-rote georgische "Fünfkreuzfahne" sowie die Europaflagge. Neben georgischen Buchstaben dominiert im Stadtbild von Tiflis , der Partnerstadt Saarbrückens, die englische Sprache. Beschriftungen auf Russisch muss man in der ehemaligen Sowjetrepublik suchen. Und praktisch jeder Taxifahrer kann von Verwandten berichten, die ihr Geld in England oder Deutschland verdienen und die Familie von dort aus unterstützen.

Georgien, das heute mit der Ukraine und Moldawien ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet, hat seine westliche Wahl also längst getroffen. Russland oder Europa ist keine Frage mehr, die in Georgien ernsthaft diskutiert würde. Die Frage, die die größten politischen Lager spaltet, ist vielmehr, ob neben der EU-Integration eine Kooperation mit Russland möglich ist oder ob die Kontakte auf ein Minimum beschränkt bleiben sollten.

Wer dieser Tage durch Tiflis streift, wird hier und da an Läden und Restaurants auch auf ukrainische Fahnen stoßen. Wer nachfragt, bekommt zu hören: Wie immer der Westen sich jetzt in der Auseinandersetzung der Ukraine mit Russland verhält, wird er sich im Ernstfall auch gegenüber Georgien verhalten. Das Auftreten der EU wird als zögerlich wahrgenommen, führt aber doch nur zu einer leichten Enttäuschung: Schließlich habe man bereits im Krieg mit Russland 2008 gesehen, dass im Ernstfall keine militärische Hilfe zu erwarten sei. Die abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien, die schon vorher nicht mehr der Kontrolle der Zentralregierung unterstanden, werden von Russland seither als unabhängig anerkannt. Tiflis spricht von einer russischen Besatzung von Teilen des Landes.

Mehr noch als in die EU drängt Georgien daher in das Verteidigungsbündnis Nato . Aus georgischer Sicht ist das verständlich. Allerdings muss der Westen sich auch ernsthaft die Frage stellen, welche Interessen er mit seinem Engagement in Georgien verfolgt und welche Unterstützung er im Ernstfall bereit ist zu leisten. Eine militärische Präsenz der Nato im Kaukasus kann von Russland nur als Zementierung der derzeitigen Konfrontation gesehen werden.

Nun wäre es falsch, Russland eine Einflusssphäre zuzugestehen, die gleichzeitig die Souveränität ehemaliger Sowjetrepubliken einschränken würde. Es wäre ebenso falsch, in Georgien, in Moldawien oder in der Ukraine Illusionen über ein mögliches militärisches Engagement zu wecken, das sich kein vernünftiger Mensch herbeiwünschen kann.

Die EU ist ein ziviles, kein militärisches Projekt. Ein Projekt, das auch Georgien offen stehen sollte. Das Problem für einen georgischen EU-Beitritt liegt weniger in Tiflis als in Brüssel. Europa befindet sich in einer Krise: Spätestens seit den Erfolgen rechtspopulistischer Parteien bei den Europawahlen in diesem Jahr, seit den offenbar erfolgreichen Versuchen Russlands, die EU aufgrund von Partikularinteressen auseinanderzudividieren. Diese Krise kann nicht durch endlose Erweiterungen überwunden werden, sondern nur durch einen neuen Konsens über die Werte, die Europa ausmachen. Trotz seiner schwierigen geographischen Lage mag Georgien bereit sein für die EU. Aber: Die EU ist noch nicht bereit für Georgien.

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