Pläne für Europawahl Gelbwesten wollen Partei werden – aber nicht alle

Paris · Mit ihren langen roten Haaren fällt Ingrid Levavasseur bei jeder Demonstration der „Gelbwesten“ auf. Am 17. November besetzte die Krankenpflegerin eine Mautstelle in Heudebouville in der Normandie und wurde mit ihrer Aktion auf einen Schlag landesweit bekannt.

Es folgten Auftritte in allen wichtigen Nachrichtensendern, die der 31-Jährigen offenbar Lust auf mehr machten: Am Mittwoch kündigte sie an, mit einer eigenen Liste in den Europawahlkampf zu ziehen. „Zusammenschluss der Bürgerinitiative“ soll ihre neue Partei heißen – RIC. Der neue Name ist ein Wortspiel, denn auch das Bürger-Referendum, eine der wichtigsten Forderungen der „Gilets jaunes“, wird mit den drei Buchstaben abgekürzt.

„Die am 17. November 2018 in unserem Land geborene soziale Bürgerbewegung unterstreicht die Notwendigkeit, Wut in ein menschliches politisches Projekt zu verwandeln“, heißt es in der Mitteilung von Levavasseur und neun Mitstreitern. Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern ist nicht die einzige Aktivistin in gelber Weste, die den Weg in die Politik sucht. Auch Jean-François Barnaba, ein 62-jähriger ehemaliger Beamter, liebäugelt mit einer eigenen Liste für die Europawahlen. „Ich möchte, dass diese Liste glaubwürdig ist mit Leuten, die eine große Erfahrung im öffentlichen Leben haben“, sagte er der Zeitung „Le Parisien“. Mit Levavasseur will er aber nicht zusammengehen.

Seine Weigerung zeigt, wie gespalten die Bewegung ist. Gut zwei Monate nach Beginn der Proteste gibt es keine klaren Anführer und über die Strategie gehen die Meinungen auseinander. Die Hardliner unter den „Gilets Jaunes“ lehnen die Umwandlung in eine Partei ab. „Das ist ein großer Fehler. Denn das ist das beste Mittel, um Macron ein gutes Ergebnis zu garantieren“, reagierte Benjamin Chauchy, ein Anführer der ersten Stunde. Vor allem Levavasseur, die bis Mitte Februar die nötigen 79 Kandidaten präsentieren will, ist für den harten Kern der „Gelbwesten“ zur Hassfigur geworden.

Laut einer Umfrage kann eine Partei der „Gelbwesten“ bei den Europawahlen mit rund 13 Prozent rechnen. Verlierer wären bei einer solchen Kandidatur vor allem die Rechtspopulisten, die die „Gilet jaunes“ von Anfang an unterstützt hatten. Als Gewinner sieht der Politologe Emmanuel Rivière die Präsidentenpartei LREM, die mit dem rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) derzeit in Umfragen praktisch gleichauf liegt. „Das wäre ein Paradox dieser Liste: Dass sie ihrem größten Widersacher nützt“, sagt er der Zeitung „Le Monde“. Der Chef von La République en Marche (LREM), Stanislas Guerini, bemerkte zu einer Kandidatur der „Gelbwesten“ lediglich: „Ich freue mich, dass die Bewegung eine politische Wendung nimmt.“ Seine Partei gehöre aber nicht zu jenen, die die „Gilets jaunes“ für ihre Zwecke ausnutzten. Experten gehen davon aus, dass eine Liste der Unzufriedenen auch viele Nicht-Wähler zu den Urnen zurückbringen könnte. „Man muss nur auf die Verkehrskreisel gehen, um zu sehen, wie viele Nicht-Wähler es dort gibt“, bemerkt Rivière. Er vergleicht die „Gilets Jaunes“ mit der Fünf-Sterne-Partei in Italien, die ebenfalls aus einer Protestbewegung geboren ist. „Aber den Gelbwesten  fehlt eine Führungsfigur wie Beppe Grillo.“

Auch am Samstag gingen rund 80 000 Menschen in gelben Warnwesten in ganz Frankreich auf die Straße. Die Demonstranten, die ursprünglich gegen die Erhöhung der Ökosteuer protestierten, fordern inzwischen den Rücktritt von Emmanuel Macron. Eric Drouet, einer ihrer Gründer, drohte dem Präsidenten in einem Brief mit einer Verhärtung der Fronten. „Wir haben vor nichts Angst“, schrieb der Lastwagenfahrer. Im Gegensatz zu Levavasseur will er weiter auf der Straße für seine Ziele kämpfen.

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