Gefühlter Höhenflug

Meinung · Man kann Sigmar Gabriel gratulieren. Vor bald zwei Jahren, als er die SPD-Führung übernahm, schien die Partei am Boden. Nach der Schlappe bei der Bundestagswahl war sie nicht mal als Junior-Partner in einer Koalition, geschweige denn als führende Kraft im Bund gefragt. Die Macht schien auf Jahre fern. Das hat sich nicht erst seit dem Wahlerfolg von Mecklenburg-Vorpommern geändert

Man kann Sigmar Gabriel gratulieren. Vor bald zwei Jahren, als er die SPD-Führung übernahm, schien die Partei am Boden. Nach der Schlappe bei der Bundestagswahl war sie nicht mal als Junior-Partner in einer Koalition, geschweige denn als führende Kraft im Bund gefragt. Die Macht schien auf Jahre fern. Das hat sich nicht erst seit dem Wahlerfolg von Mecklenburg-Vorpommern geändert. Umfragen signalisieren schon seit Wochen: Das Kanzleramt ist für die SPD wieder greifbar.Das liegt aber vor allem an den Grünen, die sich in Umfragen konstant über jenen 18 Prozent bewegen, die für ihre einstige Konkurrenz um Platz drei im Parteiensystem, die FDP, verwegenes Ziel blieb. Nach Schwarz-Gelb könnte 2013 in Deutschland binnen vier Jahren die zweite "Wunschkoaliton" ihr Comeback erleben: Rot-Grün.

Vor allem diese Machtoption, die Stärke des potenziellen Partners, sorgt für den gefühlten Höhenflug der SPD. Ihre tatsächliche Lage sollte der Partei dagegen zu denken geben. Der Abstand zum verheerenden 23-Prozent-Ergebnis der Bundestagswahl betrug zuletzt maximal sechs Prozent. Und dies trotz bester Vorzeichen: Eine durch das Libyen-Debakel in der Außenpolitik blamierte Regierung. Eine wegen interner Kritik in der Euro-Krise angeschlagene Kanzlerin mit einem orientierungslosen Junior-Partner FDP. Eine Konkurrenz auf der Linken, deren Führung sich durch Castro- und Mauer-Nostalgie selbst aus dem politischen Spiel nimmt. Und das alles bei wachsender Skepsis in der Bevölkerung gegenüber der Weltfinanzordnung und vor dem Hintergrund eines politischen Klimas, in dem sogar Konservative wie FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher fragen, ob die Linke nicht doch recht hat. Nimmt man auch noch den "Rhythmus" der Demokratie hinzu, der eine Regierung zwischen Wahlen fast immer schwächeln lässt, muss man fragen: Wann, wenn nicht jetzt, wäre die Zeit für einen echten Höhenflug der SPD?

Vielleicht käme der aber zu früh. Die Partei hat noch längst nicht alle Fragen beantwortet, die sich ihr vor zwei Jahren stellten. Die mit viel Aufwand betriebene Parteireform mag manchen Alt-Funktionär verschreckt haben. Für den Wähler wichtiger aber ist, wie die SPD wirklich zu jenen Reformen bei Rente und Arbeitsmarkt steht, die sie als Regierungspartei selbst angestoßen hat. Da erscheint auch die Diskussion um einen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück eher virtuell. Repräsentiert der beliebte und kantige Vertreter der bei Linken so verhassten Agenda-Politik wirklich die SPD? Diese Frage muss die Partei dem Wähler beantworten. Sonst ist ihr gefühlter Höhenflug beendet, wenn die Regierung wieder tritt fasst. Und dann wird es auch nichts mit Rot-Grün.

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