Früher ein Hippie, heute Karriere-Diplomat

Berlin · Erstmal mitten rein ins Krisengebiet. Obwohl es derzeit in Westafrika schon tödlich sein kann, die Türklinke im Hotel anzufassen, wie er selbst sagt, reist Walter Lindner am Sonntag in die von der Ebola-Epidemie betroffenen Länder.

Vor sich hat er Flugpläne. "Wo's kracht, müssen wir sein", das ist die Berufsauffassung des Karriere-Diplomaten, der seit Mittwoch offiziell Ebola-Koordinator der Bundesregierung ist.

Vor einer Woche erreichte ihn der Anruf von Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der deutschen Botschaft in Venezuela, seiner jüngsten Station. Der ge bürtige Münchner gilt wegen seiner langen Dienstzeit in Kenia als ausgesprochener Afrika-Kenner. Das ist die eine Voraussetzung für seine neue Aufgabe. Die andere: Lindner leitete 2009/2010 den Krisenstab im Auswärtigen Amt - zu einer Zeit, als die Piraten vor Somalia loslegten und Deutsche im Jemen entführt wurden. Ganz zu schweigen von seinen Jahren als Sprecher und enger Vertrauter von Ex-Außenminister Joschka Fischer . Lindner kennt irgendwie jeden in der Welt der internationalen Organisationen und natürlich auch im Berliner Regierungsapparat. Mit Steinmeier duzt er sich. Klar, dass er kurz nach dem Anruf schon im Flugzeug nach Deutschland saß. Die Möbel müssen nachkommen.

So eine Krise zu bekämpfen, sei nicht immer ein Traumjob, sagt der 57-Jährige. "Aber es ist eben unser Job." Inzwischen hat er schon die ersten Sitzungen geleitet, an denen Vertreter der Ministerien und von Hilfsorganisationen wie Rotes Kreuz oder THW teilnehmen. Lindner hat die Dimension begriffen: Die Verbreitung der Krankheit selbst muss gestoppt werden. Die Betroffenen brauchen dringend Hilfe. Die Staaten müssen stabilisiert werden. Alles gleichzeitig. "Ebola isolieren, nicht die Länder", sagt Lindner. Koordination ist seine Aufgabe, und er erzählt von einer Urerfahrung als junger Diplomat vor 25 Jahren in der Türkei. Nach einem Erdbeben traf dort viel Hilfe ein, aber alle schickten Spürhunde, niemand Wasseraufbereitungsanlagen. Und so gehören regelmäßige Telefonate mit UN-Vertretern und der europäischen Ebene ebenfalls zu seinem neuen Tagesablauf. Deutschland stellte bisher 17 Millionen Euro bereit, für ein mobiles Krankenhaus, für die Entsendung von 170 freiwilligen Helfern, die derzeit geschult werden, für den Aufbau einer ständigen Luftbrücke, die im November starten soll. Zudem treffen erste Ebola-Kranke zur Behandlung in Deutschland ein.

Mit seinem leicht bayrischen Akzent redet Lindner geradeaus, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Äußerlich entspricht er, trotz des perfekt sitzenden Anzugs, so gar nicht dem Klischee seiner Branche: Lange, zum Zopf gebundene Haare und der Spitzbart lassen ihn ein bisschen wie Frank Zappa aussehen, sein musikalisches Vorbild. Lindner war mal Hippie und ist immer noch ein sehr professioneller Jazzmusiker. Um Hierarchien und Gepflogenheiten wird er sich wenig scheren, wenn sie hinderlich sind. Und er will seine neue Aufgabe so lange machen, "bis Ebola abgeflaut ist". Der Tag, sagt Lindner, hat 24 Stunden.

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