Freiheit braucht Schutz

Diesen Vorstoß kann man gewagt, mutig oder töricht nennen. Wenn man aus dem gestern vorgelegten Papier der Brüsseler EU-Kommission über den Einsatz von Grenzschützern in anderen Mitgliedstaaten die positiv klingenden Vokabeln richtig übersetzt, bleibt unterm Strich eine glatte Missachtung von Souveränitätsrechten einzelner Länder.

Die Zwangsbeglückung mit der europäischen Grenzpolizei mag freundlich als "Unterstützung" apostrophiert sein. Tatsächlich handelt es sich um nicht weniger als die Übernahme der Kontrolle einer nationalen Außengrenze, für die eigentlich die Beamten der jeweiligen Staaten zuständig sind.

Andererseits: Wenn einzelne Länder an den EU-Außengrenzen nicht tun, was ihre Aufgabe ist, betreffen die Konsequenzen alle Mitgliedstaaten. Das Ergebnis sind neue Zäune und heruntergelassene Schlagbäume innerhalb der EU. Der strikte Schutz der europäischen Außengrenzen ist die Voraussetzung für das Bewahren der Freiheit im Inneren. Diese Lektion haben alle Mitgliedstaaten lernen müssen. Es wird Zeit, daraus Konsequenzen zu ziehen. Lange vor dem Höhepunkt der Zuwandererwelle verstiegen sich Rom und Athen darauf, auf europäische Hilfe bei der Grenzsicherung zu verzichten und Zuwanderer unkontrolliert einfach durchzuwinken. Dieser einseitige Bruch von gemeinsam geschlossenen Abkommen kann keine Alternative zu einem Grenzsystem sein, das fehlerhaft, aber nicht so schlecht ist, wie es derzeit gemacht wird. Um es anders zu sagen: Es war weniger die deutsche Aufnahmegarantie, die die Fluchtwelle losgetreten hat, sondern der faktische Ausfall der Grenzkontrollen im Mittelmeer-Raum.

Das muss repariert werden. Wenn die dortigen Länder dazu nicht alleine in der Lage sind, muss die Gemeinschaft helfen dürfen. Weil sie sonst die Konsequenzen trägt. Natürlich wird die EU sich nun den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie rüste sich zu einer Festung auf, an der die vielen Vertriebenen und Opfer der Bürgerkriege abprallen sollen. Dieser Einwand geht aber in die falsche Richtung. Diese Gemeinschaft muss inzwischen nicht nur um ihre innere Freiheit, sondern auch um das hohe Gut des Asylrechts bangen. Die Zusage, denen, die tatsächlich Verfolgung, Bedrohung oder gar Tod fürchten müssen, Zuflucht zu gewähren, beinhaltet nun mal auch die Entschlossenheit, andere, deren Leib und Leben nicht in Gefahr sind, zurückzuschicken. Das haben alle Mitgliedstaaten vernachlässigt oder ausgeblendet.

Wer Flüchtlingen ein neues Zuhause in Sicherheit schenken will, muss seine Grenzen schützen, damit sie für alle anderen nicht durchlässig werden. Das neue Konzept aus Brüssel könnte ein Beitrag dazu werden, weil es mutig, vielleicht auch gewagt, aber keineswegs töricht ist.

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