Freiheit auf Russisch

Kaum verbrämte militärische Drohungen, ein Hitler-Vergleich und die kühne Behauptung, die Krim sei für Russland so wichtig wie der Tempelberg in Jerusalem für Juden oder Muslime: Das ist die Botschaft, die im Ausland ankam von Wladimir Putins Rede an die russische Föderationsversammlung.

Der größere Teil der program matischen Ansprache war jedoch an seine Landsleute gerichtet. Und da schlägt der russische Präsident andere Töne an. "Freiheit zur Entwicklung in der Wirtschaft, im sozialen Bereich, in Bürgerinitiativen - das ist die beste Antwort auf äußere Beschränkungen wie auch auf unsere inneren Probleme", so lautet ein bemerkenswertes Zitat.

Je selbstständiger die Bürger sowohl wirtschaftlich als auch politisch seien, desto größer sei das Potenzial Russlands: Diese Worte Putins wollen so gar nicht passen zu dem Bild, das sein Land abgibt. Freiheiten, die im Westen als selbstverständlich gelten, werden dort mit immer neuen Einschränkungen belegt. Man könnte den Präsidenten nun als begnadeten Demagogen betrachten, dessen Bekenntnis zur Freiheit ungefähr so viel wert ist wie seinerzeit das Wörtchen "demokratisch" im Staatsnamen der DDR. Damit gäbe man sich allerdings der Illusion hin, Russland würde sich ohne Putin in eine wesentlich andere Richtung entwickeln.

Tatsache ist: Seine Politik fällt bei den Bürgern auf fruchtbaren Boden. Zwar ist Russland weit davon entfernt, ein attraktives Einwanderungsland wie die USA zu werden. Aber das boomende Moskau zog doch jahrelang Glücksritter aus der ganzen ehemaligen Sowjetunion zu Hunderttausenden an. Und Putin verweist mit Recht darauf, dass sich von der Lebenserwartung bis zur Geburtenrate beinahe alle demografischen Indikatoren verbessert haben. Mehr Geld, mehr Sicherheit: Für viele fühlt sich das an wie Freiheit.

Es ist ein konservatives Verständnis von Freiheit, ohnehin beäugen die Russen den vermeintlichen Werteverfall im Westen mit einigem Misstrauen. Putin erinnerte in seiner Rede daran, dass es in vielen Staaten offenbar keinen Nationalstolz mehr gebe. Und Freiheit, das sagte Putin auch, sei in erster Linie die Freiheit Russlands, sich unabhängig von äußeren Einflüssen zu entwickeln. Patriotismus, Konservatismus und Freiheit: Es ist ein Wertekanon, der uns antiquiert erscheint. In Russland ist er aktuell.

Der Ukraine hat Moskau die Freiheit abgesprochen, die Putin für sein eigenes Land in Anspruch nimmt. Es ist dafür zu Recht mit Sanktionen belegt worden - dem Westen blieb schlicht keine andere Wahl. Der von Putin kämpferisch vorgetragene Anspruch, Russland solle sich im Vertrauen auf seine eigenen Werte entwickeln, wird sich deshalb an der rauen ökonomischen Wirklichkeit messen müssen. Dies ist der Weg, den Russland selbst gewählt hat.

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