Frankreichs rechter Rand bleibt in Familienhand
Paris. Wer Ähnlichkeiten zwischen der blonden Anwältin und dem 82-jährigen Patriarchen sucht, muss genau hinschauen. Marine Le Pen und ihren Vater Jean-Marie verbindet äußerlich nicht viel. Doch politisch folgt die jüngste Tochter dem Mann nach, den auch sie nur "Le Pen" nennt
Paris. Wer Ähnlichkeiten zwischen der blonden Anwältin und dem 82-jährigen Patriarchen sucht, muss genau hinschauen. Marine Le Pen und ihren Vater Jean-Marie verbindet äußerlich nicht viel. Doch politisch folgt die jüngste Tochter dem Mann nach, den auch sie nur "Le Pen" nennt. Gestern übernahm die 42-Jährige die Führung der rechtsextremen Front National (FN) von ihrem Vater, der die Partei fast 40 Jahre lang leitete. Sie gewann mit gut zwei Dritteln der Stimmen die interne Abstimmung gegen den 60-jährigen Bruno Gollnisch, der von den katholischen Traditionalisten unterstützt wurde.In den vergangenen Jahren hatte sich die bisherige Vize-Chefin der FN bemüht, die Partei zu "entdämonisieren" und so zu einer Volkspartei zu machen. Dabei setzt sie vor allem auf Wirtschafts- und Sozialthemen, die in der Krise gut ankommen. So kämpft sie gegen die Globalisierung und wirbt für einen Austritt Frankreichs aus dem Euro-Raum. Auch zu ihrem Vater geht die Tochter teilweise auf Distanz. Was die Einordnung der NS-Zeit angehe, unterscheide sie sich deutlich von dem Parteigründer, sagt sie. Der 82-Jährige hatte die Gaskammern der Konzentrationslager als ein "Detail" der Geschichte bezeichnet.
Beim Thema Einwanderung haut Marine Le Pen allerdings in dieselbe Kerbe: Die französische Staatsbürgerschaft soll nicht mehr automatisch Geburtsrecht sein. Außerdem, so fordert sie, sollten ausländische Langzeitarbeitslose das Land auch dann verlassen, wenn sie sich rechtmäßig in Frankreich aufhalten. Die Europa-Abgeordnete warnt zudem vor einer "Islamisierung" Frankreichs, wo mit gut fünf Millionen die größte muslimische Gemeinde Europas lebt. Einen Aufschrei der Empörung löste Le Pens jüngste Tochter im Dezember aus, als sie die Straßengebete der Muslime mit der Nazi-Besatzung verglich. Die Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb wegen Anstiftung zum Rassenhass.
"Marine Le Pen ist heute genauso gefährlich wie Jean-Marie Le Pen", warnt der Sprecher der Sozialisten, Benoît Hamon. Noch schärfer reagiert die Regierungspartei UMP, die bei der Präsidentschaftswahl 2012 Stimmenverluste befürchtet. "Man muss aufhören zu lügen. Sie hat genau dieselbe Persönlichkeit wie ihr Vater", wütet Parteichef Jean-François Copé. Der auf Rechtsextreme spezialisierte Politologe Jean-Yves Camus analysiert, Marine Le Pen sei "ein Dorn im Fuß der Konservativen". Denn Umfragen zeigen: Der Kurs der neuen rechtsextremen Galionsfigur, die häufig in politischen Fernsehsendungen auftritt, kommt auch bei konservativen Franzosen gut an. 32 Prozent der UMP-Wähler stimmen demnach mit den Ideen der Front National überein, 43 Prozent können sich eine Zusammenarbeit mit der FN vorstellen. Meinungsforscher sprechen bereits vom "Marine"-Effekt. Bis zu 18 Prozent werden der Le-Pen-Tochter bei der Präsidentschaftswahl vorhergesagt. Ihr Vater bekam 2007 nur gut zehn Prozent.
Marine Le Pen tritt nicht nur moderater auf als der Patriarch, sie gibt sich auch im Privatleben modern. Die 42-Jährige mit der rauen Stimme, die Abtreibung befürwortet, zieht ihre drei Kinder ohne Vater groß und lebt mit dem FN-Vordenker Louis Aliot zusammen. "Sie ist sehr pragmatisch, passt sich viel mehr ihrer Zeit und den Stimmungen der öffentlichen Meinung an", sagt ein führendes FN-Mitglied. "Auf der anderen Seite muss man sich fragen: Ist sie eine Rechtsextreme, die mit Samthandschuhen auftreten will, oder ist sie wirklich von Grund auf anders?" Als neue Parteichefin wird Marine Le Pen diese Frage beantworten müssen.