Frankreichs „Agenda 2025“

Es wäre unfair, François Hollande vorzuwerfen, er sei nicht lernfähig und bemüht. Da nahm man dem französischen Präsidenten im letzten Jahr seinen zweiwöchigen Badeurlaub übel – also verzichtet er in diesem Sommer fast ganz auf Ferien und stellt eine Omnipräsenz und einen Aktionismus zur Schau, wie man es bis dahin nur von Vorgänger Nicolas Sarkozy kannte.

Man tat Hollande stets ab als Taktiker und "Tretbootkapitän" ohne echte Strategie oder Vision - jetzt antwortet er mit einer Klausur über "Frankreich 2025".

Das ferne Ziel reicht bewusst über das Jahr 2017 hinaus, sogar über 2022. Beides sind Schlüssel-Daten für ehrgeizige französische Politiker, weil in diesen Jahren Präsidentschaftswahlen stattfinden, und der Wahlkalender bestimmt üblicherweise die politische Aktion. Nicht so bei Hollande, lautet die Botschaft: Über seine persönlichen Ambitionen hinaus sorgt er sich wirklich um die Zukunft des Landes.

Angesichts einer verunsicherten Bevölkerung, die den Niedergang Frankreichs ebenso fürchtet wie eine Verschlechterung des persönlichen Lebensstandards, stellt Hollande mit seiner Klausur die richtigen Fragen. Vor allem jene: Wie wird Frankreich wieder erfolgreich und selbstbewusst? Dass Reformen nottun, bekräftigen auch die Bewunderer von Gerhard Schröders "Agenda 2010", die in Frankreich heute oft zitiert wird, aber nicht unumstritten ist. Das "deutsche Modell" mit seinen Vorzügen und Nachteilen wird Teil der innenpolitischen Diskussion und Angela Merkels Stärke mit einer Mischung aus Furcht und Faszination beobachtet. Die einen setzen den aktuellen wirtschaftlichen Erfolg und die niedrige Arbeitslosigkeit beim Nachbarn in direkte Verbindung mit Schröders Reformen und fordern ähnliche Courage von Hollande. Die anderen warnen vor der Aufgabe des "französischen Modells" mit seinen großzügigen Leistungen gerade auch für die Schwächsten. Im Kern dreht sich die Debatte um die Frage, wie viel Sozialstaat sich das verschuldete Land noch leisten kann, wie viel Spardisziplin notwendig und zumutbar ist. Dabei streitet die sozialistische Partei darum, wie "sozialdemokratisch" ihre Politik werden darf.

Traditionell sind Kontakte mit der deutschen Schwesterpartei spärlich, da die SPD in den Augen vieler französischer Sozialisten zu liberal agiert. Hollande bleibt im Wahlkampf sehr diskret, nachdem Merkel einst seinen Gegner Sarkozy unterstützt hatte. Zwar würdigte der Präsident beim SPD-Jubiläum in Leipzig die Agenda von Schröder. Vor heimischem Publikum aber formuliert er zurückhaltender. Keinesfalls will er den mächtigen linken Flügel seiner Partei verschrecken. So bleibt letztlich unscharf, was Hollande selbst denkt und will. Einmal mehr kommt der Taktiker in ihm heraus - nicht der Stratege.

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