Frankfurter Gericht spricht heute im Namen der Völker

Frankfurt/Main · Das erste Urteil eines deutschen Gerichts zum Völkermord in Ruanda wird heute mit Spannung erwartet. Wie schätzt der Frankfurter Staatsschutzsenat die Glaubwürdigkeit der mehr als 100 Zeugen ein, die in dem drei Jahre langen Verfahren gehört wurden? Ein Grundsatzurteil – und eine schwierige Aufgabe, darin sind sich alle Fachleute einig.

Denn das Massaker mit mindestens 400 Toten liegt schon 20 Jahre zurück. Der Tatort, eine Kirche im ostruandischen Kiziguro, ist viele tausend Kilometer entfernt.

Die Bundesanwaltschaft fordert die härteste Strafe für den angeklagten Ex-Bürgermeister: lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld. Die Verteidigung plädiert auf Freispruch. Sie hält die Zeugenaussagen für zu widersprüchlich, um darauf eine Verurteilung des 56-Jährigen zu stützen. Das Massaker wird vor einem deutschen Gericht verhandelt, weil der Angeklagte aus Ruanda geflohen war und 2002 in Hessen Asyl beantragt hatte. Der mit internationalem Haftbefehl aus Ruanda gesuchte Mann wurde nicht ausgeliefert, weil ein faires Strafverfahren in dem Staat als nicht gewährleistet gilt. Seit Dezember 2008 sitzt er - mit rund einem Jahr Unterbrechung - in U-Haft. Da weder der Internationale Gerichtshof (Den Haag) noch das Tribunal für Ruanda (Tansania) den Fall an sich zogen, übernahm der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt.

Ein ganz besonderes Verfahren. Denn für einen deutschen Richter ist es extrem schwierig, "die Schwingungen einer solchen Gesellschaft zu erfassen", wie etwa Matthias Hartwig vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sagt. In dem Frankfurter Prozess hat sich die Anklage bemüht, direkt an Informationen aus Ruanda zu kommen. Das Bundeskriminalamt war vor Ort, Zeugen wurden eingeflogen und vernommen. Allerdings erfüllt die Regierung in Ruanda nach Einschätzung der Experten nicht die in Deutschland gültigen rechtsstaatlichen Normen. Schwierigkeiten, die auch bei einem Verfahren in Stuttgart, wo seit rund zweidreiviertel Jahren der Präsident und der Vize der ruandischen Rebellenorganisation FDLR vor Gericht stehen, auftauchen könnten. Die Beschuldigten in Stuttgart sollen von Deutschland aus Mord, Vergewaltigung und Brandschatzung im Kongo koordiniert haben.

Das Urteil von Frankfurt ist für Völkerrechtler wichtig. Es müsse hier gezeigt werden, dass die Regeln, die im Völkerstrafgesetzbuch kodifiziert wurden, nicht nur ein leeres Versprechen seien, sondern praktische Anwendung fänden, "auch durch deutsche Staatsanwälte und Gerichte", sagt Experte Hartwig. Tatsächlich gibt es beim Weltrechtsprinzip eher Rückschritte. Belgien etwa hat es weitgehend gelockert - unter anderem auf Druck der USA, die wegen Verstößen gegen das Kriegsvölkerrecht im Irakkrieg ins Visier gerieten. Spanien schränkt derzeit die Befugnisse seiner Justiz bei Ermittlungen zu internationalen Menschenrechtsverletzungen drastisch ein. Zuvor hatte dort ein Richter am Nationalen Gerichtshof unter dem Vorwurf des Völkermordes in Tibet Haftbefehl gegen Ex-Staatspräsident Jiang Zemin und andere erlassen, China kritisierte dies scharf - mit Erfolg. In Frankreich dagegen wird gerade auch über den Völkermord in Ruanda verhandelt. Vor Gericht steht ein Ex-Offizier der Armee.

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