Fall Amri als Steilvorlage für die Opposition

Düsseldorf · Sie möchte so gern über Chancen von Kindern reden. Aber wieder ist es das Thema innere Sicherheit, das Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD ) unter Rechtfertigungsdruck setzt. Haben Sicherheitsbehörden ihres Landes im Fall des Berliner Attentäters Anis Amri versagt? Und wer müsste dafür die politische Verantwortung übernehmen? Diese Fragen drängen bei Krafts Jahresauftakt-Pressekonferenz am Mittwoch alles andere in den Hintergrund.

Vier Monate vor der Landtagswahl ist die Ausgangslage für die rot-grüne Regierung vertrackt. Der Silvesterschock von 2015 ist noch nicht bewältigt, schon hat die Opposition erneut Anlass, an der Sicherheit in NRW zu zweifeln. Wieder steht Innenminister Ralf Jäger (SPD ) unter Beschuss. Und trotz vieler ungeklärter Fragen stellt sich die Regierungschefin auch im Fall des Terroristen Anis Amri, der in Nordrhein-Westfalen gemeldet und als islamistischer Gefährder bekannt war, hinter ihn. Jäger zählt zu ihren engsten Vertrauten. Der Minister habe im Landtag alle Details klar und schlüssig dargelegt, betont Kraft. Und weiter: "Ich habe keinen Anlass, an diesen Aussagen zu zweifeln."

Im Kern ließ Jäger vorige Woche in einer Sondersitzung des Innenausschusses von zwei Spitzenbeamten erklären, an welchen rechtlichen Hürden und Fehleinschätzungen eine Inhaftierung oder Abschiebung des Gefährders scheiterte. Doch die Darlegung ist umstritten - quer durch die Parteien und auch unter Rechtsexperten. Der "Spiegel" warf gar die Frage auf, ob NRW als "failed state" - als gescheitertes Land - zu betrachten sei. CDU-Oppositionsführer Armin Laschet monierte bereits, wenn immer mehr überregionale Medien "das Sicherheitsrisiko NRW" thematisierten, ruiniere das den Ruf des Landes. Verantwortlich dafür sei Krafts Regierung. Und FDP-Chef Christian Lindner unterstellt Jäger im Fall Amri gar einen "Anfangsverdacht auf Strafvereitelung im Amt".

Die Ministerpräsidentin will alle Vorwürfe ausräumen: mit einem überparteilichen Gutachten im Auftrag des Landtags und einem Sonderermittler im Bund. "Im Nachhinein muss man leider sagen, dass die getroffenen Entscheidungen und Bewertungen falsch waren", stellt sie fest. Klar ist aus ihrer Sicht, dass es eine Fehleinschätzung im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern gab. Der Hauptfehler sei gewesen, Amris Observierung zu beenden. Fehler bei ihren Landesbehörden will Kraft aber nicht ausschließen.

Dünnhäutig zeigt sich die Regierungschefin bei der Frage, ob sie die offenen Fragen noch vor der Landtagswahl am 14. Mai kläre. Aufklärung solle "so schnell wie möglich" erfolgen, sagt sie. Im Übrigen sei die innere Sicherheit "schon länger ein Kernthema dieser Landesregierung". Angesichts zusätzlicher Stellen bei Polizei und Justiz gehe sie deshalb "sehr ruhig und zuversichtlich" in den Wahlkampf.

Ob bis dahin Ärger mit dem Koalitionspartner droht, etwa über eine Verschärfung des Polizeigesetzes, sichere Herkunftsländer oder Abschiebungen nach Afghanistan? Vize-Regierungschefin Sylvia Löhrmann (Grüne) sagt diplomatisch: "Wir sagen nicht reflexhaft Nein, wir sagen aber auch nicht unkritisch Ja." Klare Ansagen klingen anders.

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