Ex-SPD-Chef verlässt Bundestag Machtmensch Gabriel fühlt sich nicht mehr gebraucht

Berlin · Er war SPD-Vorsitzender, Bundesaußenminister, Vizekanzler und zuletzt nur noch einfacher Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Doch auch damit ist bald Schluss. Anfang November will Sigmar Gabriel sein Bundestagsmandat niederlegen.

 Sigmar Gabriel (SPD) machte sich im Bundestag bereits rar. Seine letzte Rede hielt er im Juni.

Sigmar Gabriel (SPD) machte sich im Bundestag bereits rar. Seine letzte Rede hielt er im Juni.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

So hat es der 60 Jahre alte Niedersachse jetzt in einem Schreiben an „liebe Freunde und Weggefährten“ angekündigt.

Zumindest im Berliner Politikbetrieb seiner Partei ist Gabriels Freundeskreis überschaubar geworden. Auch das lässt sich dem Abschiedsbrief entnehmen. Darin gibt er „freimütig zu, dass ich nach meinem Ausscheiden aus dem Amt als Außenminister zunehmend den Eindruck gewonnen habe, dass die SPD auf Bundesebene meiner Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht mehr bedarf“. Und wenn man nicht mehr gebraucht werde, „dann soll man besser gehen“, hat Gabriel noch hinzugefügt. Für einen, der oft genug selber nach Kräften ausgeteilt hat, klingt das ziemlich verbittert.

Tatsächlich war von Gabriel zuletzt nur noch wenig zu hören. Für die Zeit nach der jüngsten Bundestagswahl vermerkt das Parlamentsprotokoll ganze zwei Redeauftritte: im November 2017, als Gabriel noch Außenminister war, und im Juni 2019, als es in einer Aktuellen Stunde des Bundestags um die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) ging. Auch in den Fraktionssitzungen der SPD, die in Plenarwochen immer dienstags stattfinden, wurde er kaum noch gesichtet. Gabriels Rückzug versetzte seine Partei am Freitag dann auch nicht gerade in Schnappatmung.

Dabei war der begnadete Redner und kluge Analytiker lange Zeit das Aushängeschild der SPD. Den Parteivorsitz hatte er 2009, kurz nach der verlorenen Bundestagswahl nach vier Jahren großer Koalition, übernommen und erst 2017 wieder abgegeben. Angesichts der zahllosen Krisen bei den Sozialdemokraten ist das eine halbe Ewigkeit. Zuvor waren die Chefs beinah im Jahrestakt ausgetauscht worden. Gabriel war ein Machtmensch, schreckte aber sowohl 2013 als auch 2017 vor dem Griff nach der Kanzlerkandidatur zurück und überließ das Feld einmal Peer Steinbrück, dann Martin Schulz. Und immer wieder stand er sich auch selbst im Weg. Zum Beispiel durch seinen brachialen Führungsstil. Mit Andrea Nahles lag Gabriel schon im Streit, als sie noch seine Generalsekretärin war. Später verlor er auf ihr Betreiben das Außenamt, das er sich als scheidender Parteichef noch gesichert hatte. Umgekehrt lastete er der Widersacherin das desaströse Unter-16-Prozent-Ergebnis bei der Europawahl in diesem Mai an („Alles und alle gehören auf den Prüfstand“). Und am Ende kritisierte Gabriel auch immer wieder den Kurs seiner Partei, was viele Genossen nur noch mit Kopfschütteln quittierten.

Er habe das Gefühl, „dass ich mit 60 Jahren jetzt noch einmal die Chance habe, etwas Neues anzufangen“, heißt es im Abschiedsbrief. Zwei Lehraufträge an den Universitäten Bonn und Harvard sowie die Arbeit als Publizist und Vorsitzender der „Atlantikbrücke“ (ein Promi-Verein zur Pflege guter Beziehungen mit den USA) würden ihn zunehmend beanspruchen. Ist das nun Gabriels endgültiger Abschied von der Politik? Wetten darauf abschließen sollte man wohl nicht. In einem längeren Interview hatte er zu diesem Thema vor ein paar Monaten erklärt: „Sag niemals nie“. Er sehe aber kein Amt, auf das er zusteuere, versicherte Gabriel damals.

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