Europas Treue-Schwur

Die europäische Familie lässt sich nicht kleinkriegen. Nur vier Tage nach den entsetzlichen Anschlägen in Paris schworen die 28 Freunde gestern einander Beistand, sicherten sich Hilfe und Unterstützung zu.

Der Rückgriff auf eine entsprechende Regelung des Lissabonner Vertrages, der bei seiner Abfassung genau wegen dieser Klausel massiv umstritten war, machte dies möglich. Bisher ist aber weder ausreichend deutlich, was Staatspräsident François Hollande eigentlich von seinen Freunden erwartet noch was sie einbringen können. Genau gelesen handelt es sich bei dem EU-Versprechen um kaum mehr als ein Symbol. Die Gemeinschaft hat bei der Abfassung des Vertrages darauf verzichtet, sich eigene Verteidigungsstrukturen zu geben. So ist bisher weder klar, wer im Falle der Fälle unter welcher Fahne und unter wessen Kommando wo welche Rolle im Kampf gegen die IS-Terror-Milizen übernehmen könnte.

Um es klar zusagen: Europa hat weder eine militärische Struktur noch ein Krisenzentrum, das einen solchen Einsatz lenken könnte. Über das alles verfügt die Nato . Aber die hat Paris nicht angerufen. Zumindest bisher nicht.

Natürlich braucht Paris in der jetzigen Situation neben Mitgefühl auch politische Solidarität. Aber die französische Regierung weiß, dass sie die Partner nicht allzu offen mit militärischen Erwartungen konfrontieren darf. Die eigentliche Belastungsprobe für die europäische Solidarität wird daher erst noch kommen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Einigkeit allzu lange hält. Spätestens wenn Paris konkrete Forderungen stellt, wird es zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Nicht nur Deutschland, auch Spanien und sogar Großbritannien dürften sich im Kampf gegen den IS zurückhalten wollen oder müssen - wegen der Stimmung im eigenen Land und wegen des berechtigten Einwandes, das bewaffnete Interventionen in dieser Region noch nie dauerhafte friedvolle Lösungen gebracht haben. Andere EU-Partner würden sich auch lieber auf logistische oder medizinische Hilfe beschränken, als Bomber loszuschicken.

Ohne ein solches verständnisvolles Einbeziehen der unterschiedlichen Empfindlichkeiten wäre der erste Treue-Schwur in der Geschichte der EU sicherlich nicht so unaufgeregt ausgefallen. Hollande wird deshalb mehr Freunde brauchen als die 28, die ihm gestern ihre Gefolgschaft schworen. Ohne ein Bündnis mit den USA und Russland, das gestern bereits militärisch an die Seite Frankreichs rückte, vor allem aber den Nachbarstaaten Syriens und des Irak gibt es nicht die schlagkräftige Koalition, die Frankreich braucht.

Europa jedenfalls steht vor einer Prüfung. Und es ist noch nicht sicher, wie lange der gestern beschworene Zusammenhalt am Ende wirklich hält.

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