Europäische Auszeichnung für einen Kritiker der EU

Brüssel/Aachen · Es ist der 25. November 2014, als Franziskus im Parlament der 28 EU-Mitgliedsstaaten Tacheles spricht. Schon nach den ersten Worten wird klar: Selten hat ein Papst den Europäern derart deutlich ins Gewissen geredet.

Es dürfe nicht hingenommen werden, dass "das Mittelmeer zu einem großen Friedhof" werde. Das "etwas müde und pessimistische Europa" mahnte er, dass sich "nicht alles um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person, die unveräußerlichen Werte".

Es sind diese Worte, die ihm nun den Internationalen Karlspreis 2016 einbringen. Das Preiskomitee des Stadt Aachen gab gestern bekannt, der Papst werde diese Auszeichnung am Himmelfahrtstag nächsten Jahres entgegennehmen - nicht in Aachen, sondern in Rom. "In dieser Zeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger in Europa Orientierung suchen, sendet seine Heiligkeit Papst Franziskus eine Botschaft der Hoffnung und der Ermutigung aus", heißt es in der Begründung für die Zuerkennung der Auszeichnung, die zu den höchsten in Europa zählt. Der am 17. Dezember 1936 im argentinischen Buenos Aires geborene Jorge Mario Bergoglio gilt als eine besonders charismatische Persönlichkeit. Nach seiner Wahl zum Oberhaupt der katholischen Kirche am 13. März 2013 wählte er den Namen Franziskus und setzte sich mit diesem Bekenntnis zum "Apostel der Armen", als der Franz von Assisi in Italien verehrt wird, ausdrücklich von der bisherigen Linie seiner Vorgänger ab. Die bischöflichen Mitbrüder schwor er ebenso wie alle Priester und Amtsträger auf ein einfaches Leben, Bescheidenheit und Armut ein. Dass Franziskus noble vatikanische Dienst-Karossen abschaffte und sich mit einem Kleinwagen durch Rom chauffieren lässt, brachte ihm ebenso viele Sympathien ein wie der klare Reformkurs. Franziskus nahm sich die Strukturen im Vatikan vor und öffnete den Katholizismus auch inhaltlich.

Dass ausgerechnet der Papst vom anderen Ende der Welt den Europäern dermaßen deutlich die Leviten las, als er die schon lange bestehende Einladung nach Straßburg ins Europäische Parlament annahm, hat seinen Grund. Noch als Kardinal Bergoglio und Oberhirte der Hauptstadt-Diözese in seiner Heimat wurde er "Bischof der Armen" genannt. Dass der Mann, der seit nunmehr gut zwei Jahren im Vatikan residiert und dort nur 40 Kilometer von dem Mittelmeer entfernt lebt, in dem in diesem Jahr fast 3000 Menschen auf der Flucht ertranken, nicht schweigen würde, war abzusehen. Doch er tat es deutlicher und einprägsamer als seine Vorgänger, die stets huldvolle Worte wählten. Franziskus nennt die Dinge beim Namen.

Dass die Persönlichkeiten, die hinter dem Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen stehen, diesen Papst nun ehren, ist ein mutiges Signal. Es gehört Courage dazu, jemandem eine Auszeichnung für europäische Einigung zuzuerkennen, der dieses Europa scharf kritisiert hat - aber eben nicht aus ideologischen Gründen, wie dies in den elitären Brüsseler Zirkeln von Besserwissern aller Couleur so gerne getan wird. Franziskus treibt die Nähe zu den Menschen an, die die EU oft übersieht, sich selbst überlässt und an den Rand drängt.

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