EU muss sich um Heimat der Flüchtlinge kümmern

Brüssel · Kaum ein Begriff fiel so häufig wie das Wort "Solidarität", als Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans am Mittwoch die neue Migrationsstrategie vorstellte. Dabei gibt es nichts, was der EU in diesem Moment mehr fehlt.

Zwar wird in Brüssel versichert, dass Europa dem Sterben nicht tatenlos zusehen könne - und tatsächlich rettete etwa die deutsche Fregatte "Hessen" gestern 107 Menschen aus einem Schlauchboot etwa 80 Kilometer nordöstlich von Tripolis auf hoher See. Doch offenbar endet die Hilfsbereitschaft einiger Mitgliedsstaaten bereits am italienischen Ufer.

Während sich die Staats- und Regierungschefs beim EU-Sondergipfel Ende April einig waren, dass die Mittel für die von der EU-Grenzschutzagentur Frontex geführten Seenotrettung Triton aufgestockt werden müssen, hält sich die Bereitschaft, die Geretteten aufzunehmen und ihnen eine Perspektive zu bieten, in Grenzen. Drei Viertel der Asylanträge entfallen auf nur fünf der 28 Mitgliedsstaaten. Der Vorstoß der Kommission, endlich eine verpflichtende Quote einzuführen, ist deshalb gut und richtig. Dass sie keine Lösung für die Ursachen der Flüchtlingsströme sein kann, stimmt zwar. Aber sie kann ihre Symptome lindern. Die Befürchtung, damit erst recht Migranten aus anderen Ländern anzulocken, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch dem kann man abhelfen. Das beginnt schon mit der Erfassung der Flüchtlinge und ihrer Begleitung bei den Asylverfahren. Im Gegenzug sollten jene, die sich illegal in Europa aufhalten und keinen Anspruch auf Asyl haben, zügiger abgeschoben werden. Vor allem aber gründlicher: Nur 39,2 Prozent jener Migranten, die keine Aufenthaltsgenehmigung in der Union bekommen haben, wurden 2013 tatsächlich zurück in ihre Heimatländer gebracht. Es sind Argumente wie diese, die für Zuwanderungskritiker wie Großbritannien ein gefundenes Fressen sind - und die es auszuräumen gilt. Denn so hart das auch klingen mag: Die EU kann nicht alle Flüchtlinge, die der Not und dem Elend entfliehen wollen, aufnehmen. Die Vorstellung, Tausende von Wirtschaftsmigranten könnten auf den europäischen Arbeitsmarkt strömen, bereitet vor allem jenen Ländern Sorgen, die schon jetzt mit hoher Arbeitslosigkeit kämpfen: Doch nicht nur Spanien und Griechenland jagt ein solches Szenario Angst ein: Auch Italien und Malta können den Tausenden von Flüchtlingen, die sie unter der Dublin-II-Regel bereits aufgenommen haben, kaum eine Perspektive auf ihren Arbeitsmärkten bieten.

Stattdessen muss man in den Herkunftsländern anknüpfen. Aber auch Armutsbekämpfung und Entwicklungshilfe können nur bedingt helfen. Deshalb muss die Gemeinschaft die Heimatstaaten der Flüchtlinge stärker in die Pflicht nehmen. Sie müssen ihre Staatsbürger wieder "zurücknehmen" - so will es das internationale Recht. Helfen kann ihnen die Union nur, indem sie Unterstützung bei Aufklärungskampagnen und Reintegrationsmaßnahmen bietet. Ein solches Informationszentrum soll in Niger Ende des Jahres getestet werden. Es ist ein erster Schritt, um zumindest einige verzweifelte Menschen von einer Reise abzuhalten, die sie mit dem Tod bezahlen könnten. Für jene, die Opfer von Kriegen und Verfolgung sind, müssen die Tore zur EU aber offenbleiben. Es ist ein Mindestmaß an Solidarität, das Europa diesen Menschen schuldet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort