Eroberung von Baghus Der Untergang des Kalifats ist nicht das Ende des IS

Damaskus · Kurz vor dem Ende verbreitete die IS-Terrormiliz noch einmal Durchhalteparolen. Als in den sozialen Medien eine neue Botschaft von IS-Sprecher Abu al-Hassan al-Muhadschir auftauchte, klang dessen Stimme wütend.

Er hetzte gegen die Gegner der Dschihadisten. Und er drohte mit Widerstand bis zum Schluss. „Wartet auf die Seen aus Blut“, wetterte Abu al-Hassan. Was immer die „Koalition der Ungläubigen“ auch tun werde – am Ende siege der Islamische Staat.

In den Krisenländern Syrien und Irak sieht die Realität anders aus, derzeit zumindest. Nach dem jahrelangen Krieg gegen die Extremisten ist deren selbst ernanntes Kalifat endgültig in Staub, Asche und Trümmer zerfallen. Am Samstag erklärten die von Kurden angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) den Fall der letzten IS-Bastion in der Region, Baghus, ein Ort an der Grenze zum Irak.

Die Bilder aus dem Euphrat-Tal lassen erahnen, wie brutal die Schlacht war: Baghus ist eigentlich ein grünes Dorf, in dem die Menschen mit Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienen. Doch wo die Dschihadisten zum Schluss hausten, sind nur tiefe Krater geblieben, die Jets in den Boden gebombt haben. Die Raketen haben Wagen zerfetzt und Bäume verkohlt. Überall liegen Leichen.

Fast fünf Jahre liegen zwischen diesen Bildern des Untergangs und dem Tag Anfang Juli 2014, an dem sich IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi das bisher einzige Mal öffentlich zeigte. Damals trat er zu einer Freitagspredigt in der Großen Moschee Mossuls auf. Gerade hatte der IS sein „Kalifat“ ausgerufen. Er kontrollierte riesige Gebiete im Irak und im benachbarten Syrien.

Doch im Spätsommer 2014 begann die internationale Anti-IS-Koalition unter Führung der USA ihren Einsatz gegen die Extremisten. In monatelangen Kämpfen konnten irakische Bodentruppen mit Hilfe von Luftangriffen der Koalition ihr Land befreien, in Syrien nahmen vor allem die SDF-Truppen das Gebiet der Dschihadisten ein. Angeführt werden sie von den kurdischen Volksverteidigungskräften YPG.

Die militärische Niederlage des IS und der Untergang des Kalifats sind allerdings nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Terrormiliz. Schon vor Monaten haben die Dschihadisten auf den Zerfall ihres Reichs reagiert und die Strategie angepasst. Längst sind sie zu einem Guerilla-Kampf übergegangen. Tausende Anhänger von Daesh, wie der IS auf Arabisch genannt wird, dürften in den riesigen Wüstengebieten Syriens und des Iraks untergetaucht sein, von wo aus sie regelmäßig Angriffe aus dem Hinterhalt verüben.

In der Region seien noch Dutzende Schläferzellen aktiv, mahnt Abdel Karim Umar, Außenbeauftragter des politischen Arms der SDF. Auch die Ideologie, mit der die Dschihadisten über Jahre nicht zuletzt Kinder und Jugendliche indoktriniert haben, ist weiter lebendig. Abdel Karim Umar warnt deshalb: „Daesh kann in neuer Form wieder auferstehen.“

Die Situation erinnert an das Jahr 2010, als der IS-Vorläufer nach dem Bürgerkrieg im Irak als zerschlagen galt. Der damalige US-Präsident Barack Obama ließ die US-Truppen aus dem Krisenland abziehen. Rund vier Jahre dauerte es, bis IS-Anhänger erst die Millionenstadt Mossul, dann weitere Gebiete im Irak überrannten. Im benachbarten Syrien hatten sie schon vorher das Chaos des Bürgerkriegs ausgenutzt, um sich nach und nach auszubreiten.

Es mangelt deshalb auch nicht an Warnungen vor einem schnellen Abzug der US-Truppen aus Syrien, wie ihn Präsident Donald Trump vorantreibt. „Wie schnell wir die Lehren aus der jüngeren Vergangenheit vergessen“, schreibt etwa der Syrien-Experte am Middle East Institute in Washington, Charles Lister. „Den Sieg auszurufen und sich an diesem Punkt zurückzuziehen ist nicht nur naiv; es ist gefährlich.“

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