Erdogan versteht bei Kritik keinen Spaß

Istanbul · Dass Recep Tayyip Erdogan auf Karikaturisten nicht besonders gut zu sprechen ist, weiß Musa Kart schon lange. Im Jahr 2004 präsentierte der Zeichner der Erdogan-kritischen Zeitung "Cumhuriyet" den damaligen türkischen Ministerpräsidenten als Katze, die sich in Wollfäden verstrickt hat.

Erdogan verklagte Kart wegen Beleidigung, unterlag aber am Ende, weil die Richter urteilten, Politiker müssten so etwas aushalten können. Damals ging es nur um Schmerzensgeld. Von heute an jedoch steht Kart erneut wegen einer Erdogan-Karikatur vor Gericht - und diesmal soll er nach dem Willen der Anklage für fast zehn Jahre ins Gefängnis.

Aus der Sicht von Regierungskritikern fasst der neue Fall Kart die Lage in der vom inzwischen zum Präsidenten aufgestiegenen Erdogan propagierten "neuen Türkei" beispielhaft zusammen. Vor kurzem stellte die türkische Justiz ihre Ermittlungen wegen der Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung vom Dezember ein. Istanbuler Staatsanwälte wollten damals Beweise dafür haben, dass sich Minister aus Erdogans Regierung von Geschäftsleuten bestechen ließen. Die Ermittler verloren auf Druck der Regierung ihre Posten und wurden von Nachfolgern ersetzt, die bei den Ex-Ministern kein unrechtes Verhalten erkennen können. Stattdessen sind sie bei Kart fündig geworden.

Der Zeichner hatte im vergangenen Februar in "Cumhuriyet" eine Karikatur veröffentlicht, kurz nachdem Erdogan einen Redeauftritt per hochmoderner Hologramm-Technik absolviert hatte. In Karts Zeichnung erscheint Erdogan als Hologramm neben einigen Dieben, die einen Tresor ausräumen - eine Anspielung auf die Korruptionsvorwürfe . "Kein Grund zur Eile, unser Aufpasser ist ein Hologramm", sagt der eine Dieb zu dem anderen.

Ermittlungen der Istanbuler Staatsanwaltschaft wegen der Karikatur gegen Kart wurden zunächst eingestellt. Doch auf Einspruch von Erdogans Anwälten nahmen die Staatsanwälte den Fall wieder auf und kamen plötzlich zu dem Schluss, dass sich der Karikaturist strafbar gemacht hat: Sie fordern neun Jahre und zehn Monate Haft wegen Beleidigung, Verleumdung und wegen eines Verstoßes gegen die Vertraulichkeit der damaligen Korruptionsermittlungen.

Eine Justiz, die potenziell korrupte Politiker schont und dafür Karikaturisten ins Gefängnis bringen will - "nicht einmal ein Karikaturist hätte sich so etwas ausdenken können", sagte Kart selbst über seinen Prozess. Die Türkei habe keine Justiz, sondern nur eine "Justiz-Karikatur".

Erdogan findet dagegen, in Sachen Pressefreiheit sei in der Türkei alles in bester Ordnung. Sein Land sei bei diesem Thema "ungerechter Kritik " ausgesetzt, erklärte er kürzlich. Die Regierung von Erdogans Nachfolger und Gefolgsmann Ahmet Davutoglu arbeitet unterdessen an einem neuen Gesetz, das unter anderem neue Vollmachten für Polizei und Justiz bei Ermittlungen und bei Einsätzen gegen Demonstranten vorsieht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort