Erdbeben in Frankreichs Parteienlandschaft

Paris · ANALYSE Die Ernennung eines konservativen Regierungschefs bringt das Parteien- gefüge im Nachbarstaat durcheinander. Den Republikanern droht jetzt der Bruch.

Emmanuel Macron erschüttert die politische Szene wie ein Erdbeben. Innerhalb weniger Wochen brachte der neue Präsident das jahrzehntelange Gefüge, das Frankreich beherrschte, völlig durcheinander. "Das System Macron ist so etwas wie die Anwendung der Chaos-Theorie in der Politik", schreibt das "Journal du Dimanche". Nachdem der 39-Jährige mit seiner Bewegung "En Marche" die Sozialisten zur Sechs-Prozent-Partei degradierte, droht nun auch der Zusammenbruch der konservativen Republikaner. Die Oppositionspartei hatte nach ihrer Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen noch Geschlossenheit demonstriert. Immerhin könnten die Republikaner bei den Parlamentswahlen im Juni stärkste Kraft werden und so Macron zu einer Kohabitation zwingen, einer Zwangsehe mit der konservativen Regierung.

Doch dazu müsste die Partei von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy geeint in den Wahlkampf ziehen und danach sah es gestern nicht aus. Mit der Ernennung von Edouard Philippe, dem konservativen Bürgermeister von Le Havre, zum Premierminister brachte Macron nämlich die mühsam aufrecht erhaltene Fassade der Eintracht zum Einsturz. Direkt nach der Ernennung Philippes zeigten sich mehrere hochrangige Mitglieder der Republikaner ebenfalls zu einer Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten bereit: "Unsere politische Familie muss auf die ausgestreckte Hand des Präsidenten reagieren", forderten 21 Parteigrößen in einem offenen Brief. "Statt mit Gegensätzen, Karikaturen und Ausschlüssen zu reagieren, fordern wir unsere politische Familie auf, angemessen auf die Situation unseres Landes und die Erwartungen der Franzosen zu antworten."

Unter den Unterzeichnern waren prominente Republikaner wie die frühere Bürgermeisterin von Straßburg, Fabienne Keller, oder der Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi. Sie scheinen mit dem Schreiben einen Bruch vorzubereiten, der die Partei in einen reformorientierten und einen rechtskonservativen Flügel spalten könnte. "Der Bruch steht an. Es ist nur noch die Frage, ob er jetzt oder beim Parteitag in sechs Monaten stattfindet", zitierte die Zeitung "Le Figaro" einen Vertrauten des früheren Premierministers Alain Juppé. Der Zweite der Vorwahlen forderte bereits zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit Macron in der Nationalversammlung auf, will aber noch nicht das Lager wechseln. "Ich werde die Kandidaten der Republikaner im Parlamentswahlkampf unterstützen", versicherte er. Nach dem Appell der 21 könnten andere Politiker der Republikaner sich Macrons Kabinett anschließen. Ex-Minister Bruno Le Maire hatte sich bereits offen für einen solchen Schritt gezeigt.

Die Entwicklung bei den Republikanern passt in die Strategie Macrons. "Nach der Linken werden wir die Rechte zur Explosion bringen", zitiert das "Journal du Dimanche" ein hochrangiges Mitglied von Macrons "En Marche". Der Sozialliberale will die fortschrittlich denkenden Kräfte aller Parteien vereinen und damit die alten Lager links und rechts auflösen. "Weder rechts noch links", lautete sein im Wahlkampf viel verspottetes Motto. Sein Erfolg gab ihm allerdings recht und brachte die Sozialisten schon an den Rand des Zusammenbruchs. Manuel Valls, die Führungsfigur des sozialdemokratischen Flügels, sprach es offen aus: "Die sozialistische Partei ist tot." Während am linken Rand der Partei neue Bewegungen entstehen, fanden viele Sozialdemokraten Unterschlupf bei "En Marche". In der neuen Nationalversammlung könnten die Sozialisten, die bisher die Mehrheit stellen, nur noch auf ein paar Dutzend Abgeordnete kommen.

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