Entsetzen in der SPD über Gabriels Griechenland-Kurs

Berlin · Für die SPD waren die Brüsseler Griechenland-Verhandlungen mindestens so aufregend wie für Alexis Tsipras und Angela Merkel. Nur ging es bei den Sozialdemokraten nicht um die Euro-Rettung, sondern um Schadensbegrenzung in eigener Sache.

Wieder einmal stand Parteichef Sigmar Gabriel im Mittelpunkt einer verworrenen Kommunikation.

War es wirklich nur ein "übles Foul" Wolfgang Schäubles, wie es in Parteikreisen gestern hieß? Der CDU-Finanzminister hatte sicherlich seinen Anteil, als er am Samstag seinen "Grexit auf Zeit"-Vorschlag in die Verhandlungen warf und verbreiten ließ, der sei mit den Sozialdemokraten abgestimmt. Tatsächlich hatten Schäuble, Merkel und Gabriel am Donnerstag in kleiner Runde im Kanzleramt diskutiert, welche theoretischen Alternativen es gäbe, falls die Griechen ganz auf "Ochi" (Nein) schalten würden. Doch der (freiwillige) Grexit war am Freitag mit Tsipras' Reformliste schon passé. Gleichwohl ließ Schäuble den Vorschlag am Samstag bekannt werden, um den Druck auf Athen zu erhöhen.

Viele führende SPD-Genossen wie Hubertus Heil , Carsten Schneider und Johannes Kahrs schossen daraufhin ganze Breitseiten gegen den Finanzminister ab, nur um gegen Mitternacht auf Facebook plötzlich vom eigenen Parteichef zu erfahren: "Der Vorschlag ist der SPD natürlich bekannt." In der Politiker-Sprache heißt das: Ist mit uns abgesprochen. Den ganzen Sonntag verbrachte der Parteichef von Brüssel aus damit, den entstandenen Shitstorm wieder totzutreten. Er schrieb sogar einen Brief an alle SPD-Bundestagsabgeordneten. Gabriel steht ohnehin unter Grexit-Verdacht, seit er letzte Woche nach dem Griechen-Referendum im SPD-Präsidium im Alleingang schon ein drittes Rettungspaket ablehnen wollte und davon nur mit Mühe abgehalten werden konnte. Gleichzeitig reklamierte Gabriel am Sonntag den letztlich gegenüber Tsipras durchgesetzten Treuhandfonds als alte sozialdemokratische Idee. Hierfür beansprucht wiederum auch Schäuble die Urheberschaft.

Gestern Mittag hatten die Genossen ihre Sprache und Linie wieder gefunden. Sie werden im Bundestag wohl einhellig für Verhandlungen auf der Basis der Brüsseler Beschlüsse stimmen. "Europa zeigt, dass es einig, solidarisch und rational handeln kann", lobte Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der dem Vernehmen nach "entsetzt" über Gabriel war.

Einige Parteilinke hieben gestern noch einmal auf Schäuble ein, und es war nicht ganz klar, ob sie nicht eigentlich ihren Parteichef Gabriel meinten. Vizeparteichef Ralf Stegner formulierte doppeldeutig: "Alle diejenigen, die gesagt haben, ein Grexit wäre besser, liegen falsch." Vizefraktionschef Axel Schäfer betonte, die Grexit-Idee sei erfolgreich verhindert worden, "weil wir gesagt haben - auch Schäuble gegenüber -, das machen wir nicht mit". Der Zwischensatz "auch Schäuble gegenüber" ist an dieser Stelle bemerkenswert. Der Parteichef und Wirtschaftsminister selbst äußerte sich kurz vor seiner Abreise nach China auf dem Flughafen Berlin-Tegel zum Verhandlungsergebnis und lobte es als "faires Angebot". Den ursprünglich auf fünf Tage angesetzten China-Besuch verkürzte Gabriel, um am Freitag rechtzeitig zur Abstimmung wieder in Berlin zu sein. Nicht jeder in seiner Partei weiß, ob das eine gute Nachricht ist.

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