Ensaf Haidar Eine Kämpferin von zierlicher Gestalt

Frankfurt · Ensaf Haidar ist eine Kämpferin. Mit fester Stimme erzählt die zierliche Frau ihre Geschichte, über sechs Jahre nach der Verhaftung ihres Mannes, des saudischen Internet-Aktivisten Raif Badawi. Wenn es um das Unrecht geht, das ihrem Mann widerfahren ist, wird sie lauter, ballt die Fäuste und gestikuliert wild.

 Ensaf Haidar mit einem Foto ihres Ehemannes.

Ensaf Haidar mit einem Foto ihres Ehemannes.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Aufgeben kommt für sie nicht infrage: „Es wird immer mein Ziel bleiben, die Freilassung Raifs zu erreichen.“

Weil er den Islam beleidigt haben soll, war Badawi am 17. Juni 2012 verhaftet worden. Knapp zwei Jahre später verurteilte ihn ein Gericht zu 1000 Stockhieben, zehn Jahren Haft und einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 200 000 Euro. Unter öffentlichem Jubel erhielt Badawi 2015 die ersten 50 Schläge, danach wurde die Strafe vorerst ausgesetzt. „Er wurde ohne Grund bestraft“, sagt seine Frau. „Der Mensch wird frei geboren und es ist normal und richtig, seine Rechte einzufordern, wenn sie nicht gewährt werden.“ Inzwischen wurde auch eine Schwester des Bloggers inhaftiert – weil sie sich für Frauenrechte einsetzte. Ensaf Haidar konnte Saudi-Arabien mit ihren drei Kindern rechtzeitig verlassen, lebt heute in Kanada. sie alle sind inzwischen kanadische Staatsbürger.

Wenn sie über ihre Kinder spricht, wirkt die 1985 geborene Haidar ruhiger und nachdenklicher, fast schon erschöpft. Ihr Mann habe so viel verpasst, sagt sie. Als sie flohen, sei ihre jüngste Tochter vier Jahre alt gewesen, ihre älteste acht. Die Kleinste habe ihren Vater kaum gekannt, lausche immer gespannt den Erzählungen ihrer Geschwister. „Manchmal tut sie so, als könnte sie sich auch an etwas erinnern“, sagt die Mutter.

Gesehen hat sich die Familie seit der Verhaftung nicht. Zu Beginn seiner Haft habe Badawi sie ein- bis zweimal die Woche angerufen, inzwischen sei das letzte Gespräch fast drei Wochen her. Wie häufig er anrufe, hänge von seiner psychischen Verfassung ab. „Wenn er anruft und wir ihn fragen, wie es ihm geht, sagt er immer: ‚Fragt mich nicht, ich will nur hören, wie ihr zurechtkommt‘“, erzählt Haidar. „Die Gefangenschaft belastet ihn sehr.“ Im gesamten Gefängnis gebe es nur zwei Telefone, die Gespräch seien nach maximal fünf Minuten vorbei.

Es gebe ihr Kraft, dass sich nach all den Jahren noch immer Menschen für den Fall ihres Mannes interessieren. „Ich sehe, dass sich die internationale Gemeinschaft für die Freilassung von politischen Gefangenen einsetzt. Auch in der saudischen Gesellschaft haben wir Unterstützer“, sagt sie. „Ich bin diesen Menschen sehr dankbar.“ Nach dem Auspeitschen Badawis hätten sich zudem viele Regierungen geäußert. Von der Bundesregierung wünscht sie sich trotzdem mehr Interesse an dem Fall ihres Mannes.

Aus arabischen Staaten habe es hingegen keine politischen Reaktionen gegeben. „Religion wird in diesen Regionen noch immer politisiert“, sagt Haidar. Die aktuelle Liberalisierung der saudischen Politik gehe nur in kleinen Schritten voran. „Den Menschen werden Freiheiten gewährt, die ihnen sowieso zustehen.“ Trotzdem gebe ihr der leichte Richtungswechsel Hoffnung. „Vielleicht werden mein Mann und andere, die sich für eben diese Freiheiten eingesetzt haben, bald freigelassen.“

Ob sie jemals wieder nach Saudi-Arabien zurückkehren wird, weiß sie noch nicht. „Ich habe die Hoffnung, dass Raif im Falle seiner Freilassung nach Kanada kommen und dort mit uns leben kann.“ Zunächst wird sie weiter kämpfen, für freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit und Frauenrechte. Diese Werte gibt Haidar auch ihren Kindern mit. „Wir sprechen viel über Menschenrechte und den Kampf ihres Vaters. Sie sind sehr stolz auf ihren Papa.“

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