Eine Stimme macht im Wahlkrimi den Unterschied

Erfurt · Der Glaube von Rot-Rot-Grün in Erfurt an die Zahl 46 ist unerschütterlich. So viele Stimmen brauchen die Koalitionäre heute beim Showdown im Landtag. Dann wäre Bodo Ramelow erster Regierungschef der Linken.

Das bundesweit umstrittene rot-rot-grüne Regierungsexperiment in Thür ingen hätte seine Feuertaufe bestanden, die CDU wäre nach 24 Jahren an der Macht in der Opposition gelandet. Dabei wissen alle: Ein einziger abtrünniger Abgeordneter kann das Dreierbündnis bei der geheimen Abstimmung erschüttern, im schlimmsten Fall platzen lassen. Linke, SPD und Grüne haben im Parlament nur eine Stimme mehr als CDU und AfD.

Ramelow gibt sich gelassen: "Die Mehrheit von 46 Stimmen im ersten Wahlgang steht", meint der 58-Jährige. Wochenlange Verhandlungen scheinen die Verantwortlichen von Rot-Rot-Grün einander näher gebracht zu haben. Vom dritten Wahlgang, den er vor Wochen nicht ausschloss, will der Frontmann der Linkspartei nun nichts mehr wissen.

Rot-Rot-Grün stehen die CDU als Wahlgewinnerin mit 34 Sitzen und die rechtspopulistische AfD mit elf Mandaten gegenüber. Offen ist, ob die CDU Ramelow das Feld fast kampflos überlässt. Parteichefin Christine Lieberknecht hat entschieden: Sie geht nicht als Gegenkandidatin in die "Arena des Löwen". Weder Lieberknecht noch ihr innerparteilicher Dauerkonkurrent, Fraktionschef Mike Mohring, können sich aller CDU-Stimmen sicher sein. Und einen Versuch Mohrings, mit Hilfe der AfD den Machtverlust zu vermeiden, will die Bundespartei nicht. Kurz vor Ultimo bringt die CDU noch Jenas ehemaligen Uni-Rektor Klaus Dicke ins Spiel. Der parteilose 61-Jährige könnte im dritten Wahlgang ein Angebot für Abweichler von Rot-Rot-Grün sein. Dicke selbst sagt allerdings, offiziell sei er noch gar nicht gefragt worden.

Seit Tagen versuchen die Gegner von Rot-Rot-Grün, Ramelows Wahl ausgerechnet 25 Jahre nach d er friedlichen Revolution gegen das SED-Regime zu verhindern - mit Demonstrationen im Kerzenschein wie im Wendeherbst, mit Appellen an das Gewissen der Ab geordneten und halbseitigen Zeitungsanzeigen. Darin wird schon mal ein "SED-Staat in der Mitte Deutschlands" heraufbeschworen. Dabei liest sich das Regierungsprogramm, das Linke, SPD und Grüne aufgeschrieben haben, nicht viel anders als das bisherige von Schwarz-Rot. In der Präambel wird die DDR als Unrechtsstaat qualifiziert und eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit versprochen. Wenn Ramelow nach der Rückkehr des Sozialismus in Thüringen gefragt wird, schüttelt er genervt den Kopf. "Wir machen eine pragmatische Politik."

Es geht um eine Regierung der Premieren: Ein Dreierbündnis aus Linke, SPD und Grünen gab es noch nie in einem Bundesland. Die regierungserfahrenen, aber vom Wähler gestutzten Sozialdemokraten sind erstmals Juniorpartner der Linken, die in Thüringen seit 1990 nur die Oppositionsrolle kennt. Und die Grünen, mit 5,7 Prozent gerade so eben im Landtag geblieben, freuen sich über die erste Regierungsbeteiligung in Ostdeutschland seit 16 Jahren. SPD-Chef Andreas Bausewein spricht von einem Wagnis: "Es braucht Mut, den Schritt ins Ungewisse zu gehen." Zunächst muss sich heute aber zeigen, ob Ärger über die unter Verschluss gehaltene Kabinettsliste oder juristische Scharmützel mit Landtagspräsident Christian Carius (CDU ) beim dritten Wahlgang den Regierungswechsel doch noch gefährden können.

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