Eine kleine Revolution an der Wahlurne

Riad · Eigentlich hatte Ludschain al-Hathlul gar nicht vor zu kandidieren. "Ich wollte aber, dass mehr Frauen an dieser Abstimmung teilnehmen", sagt die 26-Jährige. Die Kommunalwahl, von der sie spricht, ist ein Meilenstein für Saudi-Arabien.

Denn erstmals durften Frauen kandidieren, heute können sie auch ihre Stimme abgeben. Für viele ist das ein wichtiger Schritt nach vorn. Doch Kritiker sehen die Wahl als halbherzigen Versuch, die Frauen im Land zu beschwichtigen.

Erst 2011 entschied der inzwischen verstorbene König Abdullah, Frauen die Beteiligung an der Kommunalwahl zu erlauben. Doch das Interesse an der Abstimmung bleibt gering - auch bei der weiblichen Bevölkerung. Viele Frauen hätten sich gar nicht erst registriert, sagt die saudische Aktivistin Muna Abu Sulaiman. Nach offiziellen Zahlen sind von 1,6 Millionen registrierten Wählern nur 136 000 Frauen, der Anteil der weiblichen Bevölkerung liegt bei rund 12,6 Millionen.

Das konservativ-islamische Königreich ist eines der Länder der Welt, in dem die Frauenrechte am meisten eingeschränkt sind. Sie dürfen weder Auto fahren noch ohne männliche Erlaubnis reisen. In der Öffentlichkeit sind die meisten Frauen verschleiert. Wenn man eine Frau davon abhalten wolle, zu kandidieren oder zu wählen, gebe es dafür zahlreiche Möglichkeiten, sagt Adam Coogle von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch . So seien Frauen wegen des Fahrverbots logistisch auf Männer angewiesen. Zudem müssten Wählerinnen bei der Registrierung einen Wohnsitz-Nachweis vorlegen, der auf ihren Namen ausgestellt ist - eine Herausforderung in einem Land, in dem Frauen alleine kaum Mietverträge abschließen oder Häuser kaufen können.

865 Frauen ließen sich für die Wahl aufstellen, insgesamt treten 6140 Kandidaten an. Wegen der strikten Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit ist der Wahlkampf für die Kandidatinnen eine besondere Herausforderung, denn Männer und Frauen müssten getrennte Veranstaltungen abhalten. Die Kommunalwahl hat nach Coogles Einschätzung auch wenig praktische Auswirkungen für die Frauen im Königreich. Die symbolische Bedeutung sei zwar groß, aber de facto könnten die Gemeinderäte kaum politische Macht ausüben.

Für das Königshaus wiederum ist jegliche Reform der Frauenrechte ein Drahtseilakt. Einerseits bestehe das politische Interesse, das Image des Königreichs international aufzupolieren, sagt Coogle. Wirtschaftlich sei es auch wichtig, Frauen als Arbeitskräfte zu gewinnen. Andererseits versuche die Monarchie, die konservativen Teile der Gesellschaft nicht vor den Kopf zu stoßen. Abu Sulaiman verweist auf positive Entwicklungen für die Frauen. Es werde viel getan, um deren Rechte - etwa in der Bildung und im Berufsleben - voranzutreiben.

Auch die Aktivistin Al-Hathlul sieht die Wahl als große Chance, um "Frauen zu zeigen, wie es sich anfühlt, gleichberechtigt zu sein". Es sei wichtig zu lernen, was es bedeutet, am öffentlichen Leben und an politischen Prozessen teilzunehmen. Einige Frauenrechtlerinnen werden diese Erfahrungen allerdings nicht wie geplant sammeln können: Sie wurden von der Wahl ausgeschlossen. Auch Al-Hathlul selbst steht nicht mehr auf dem Wahlzettel: Vor einer Woche sei sie von der Kandidatenliste gestrichen worden, sagt sie. Eine klare Begründung habe es nicht gegeben.

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