Eine Frage der Würde

Wer die Debatte um den Spähskandal der NSA und des britischen Geheimdienstes GCHQ verfolgt, kommt um einen beklemmenden Befund nicht herum: Die Naivität vieler Bürger (und Politiker!) ist atemberaubend. Denn die Empörung über die flächendeckende Überwachung des privaten Lebens beschränkt sich auf ein paar Medien und Intellektuelle, ansonsten herrschen Schulterzucken und Schweigen.

Dabei sind die globalen Röntgen-Augen der Spione auf Sicht gefährlicher als der internationale Terrorismus, der als Vorwand für das Aushebeln demokratisch verfasster Grundwerte herhalten muss.

Leider hat die ARD am Sonntag eine große Chance vertan, das brisante Thema (wieder) stärker ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Anstatt das weltweit erste Interview mit dem Whistleblower Edward Snowden professionell zu vermarkten, wurde es im Nachtprogramm verbuddelt. Zuvor durften bei "Günther Jauch" journalistische Leichtmatrosen peinliche Sätze platzieren. Es sei kein einziger Fall bekannt, "wo ein Unschuldiger (von der NSA) verfolgt wurde", hieß es da. Das ist bestes Beckenbauer-Niveau - der "Kaiser" hat auf den WM-Baustellen in Katar auch noch "keinen einzigen Sklaven gesehen".

Wie schafft man es nun, dem Späh-Thema die Bedeutung zu geben, die es verdient? Die Bundesregierung hat sich gestern abermals hinter Paragraphen verschanzt und die Asylfrage für Snowden verneint. Ungeachtet der Tatsache, dass die Kanzlerin ohne den Mut dieses Mannes noch immer abgehört würde (und dies bis heute nicht wüsste): Beschämend ist vor allem die Feigheit vor dem Freund, derer man sich in Berlin nicht mal geniert.

Fakt ist: NSA und GCHQ setzen ihre globale Schnüffelei in unverminderter Intensität fort. Täglich werden Milliarden Daten aus aller Welt abgesaugt, gespeichert und - ja, was geschieht eigentlich damit? Legen die Geheimdienste nur digitale Friedhöfe an, weil sie des Schwalls analytisch gar nicht Herr werden? Oder werden die Daten tatsächlich sinnvoll genutzt? Die Behauptung von US-Präsident Barack Obama, nur das Belauschen der Welt könne die "nationale Sicherheit" (der USA) gewährleisten, nur so seien "zahlreiche" Terrorakte verhindert worden, ist durch nichts belegt. Zweifelsfrei erwiesen ist hingegen, dass Geheimdienst-Direktor James Clapper den eigenen Kongress belogen hat.

Snowden hat in seinem Interview Wahrheiten gesagt, die so simpel sind, dass sie den Kategorien des Verrats Hohn sprechen: Die USA betreiben auch Wirtschaftsspionage, sie arbeiten eng mit den Briten (und dem BND) zusammen, sie scheren sich nicht um Regeln. Auch im Interesse der eigenen Würde stünde es Deutschland und der EU deshalb gut zu Gesicht, der andauernden Verletzung der Verfassung und der Menschenrechtskonvention energisch entgegenzutreten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort