Eine explosive Mischung

Keine zwei Wochen sind vergangen seit Wladimir Putins großer Amnestie. Und aller Kritik am Prestige-Projekt „Olympia in Sotschi“ zum Trotz: Die Familien tausender Strafgefangener können nicht zuletzt dem Sport dankbar sein für die Möglichkeit, das Neujahrsfest gemeinsam mit ihren Angehörigen zu feiern.

Nun aber wird Russland heimgesucht von einer Terrorwelle, und das vielleicht Schlimmste daran ist: Die Probleme, die dazu geführt haben, lassen sich durch keinen Präsidenten-Erlass bis zum Beginn der Spiele im Februar aus der Welt schaffen.

Dass Sotschi am Rande des Kaukasus ein schwieriges Pflaster für Olympia sein könnte, war von Anfang an klar. Um sich vor der Weltöffentlichkeit dennoch mit einem rauschenden Sportfest präsentieren zu können, wurden beispiellose Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Nun aber haben Terroristen bereits zum dritten Mal zugeschlagen in Wolgograd, hunderte Kilometer von Sotschi entfernt. Die Kraftdemonstrationen des Sicherheitsapparats führen sie damit ad absurdum. Weshalb es gerade Wolgograd trifft, ist unklar. Es mag pragmatische Gründe geben, die mit der höheren Alarmbereitschaft in Sotschi wie auch in Moskau zu tun haben. Der Terror von Wolgograd signalisiert, dass die Angreifer überall zuschlagen können. Die Ortswahl hat aber, gewollt oder ungewollt, auch eine symbolische Komponente: Das ehemalige Stalingrad steht für russisches Leiden im Zweiten Weltkrieg, so wie Sotschi für die Kaukasusvölker die Leiden durch die Unterwerfung durch Russland symbolisiert.

In Deutschland wird Präsident Putin vereinzelt ein heimliches Interesse an der Eskalation unterstellt, damit er seinen Sicherheitsapparat weiter ausbauen könne. Diese Sichtweise ist zynisch. Putins Politik hat - angefangen bei den Tschetschenien-Kriegen - zweifellos dazu beigetragen, im Kaukasus diese explosive Mischung entstehen zu lassen, die nun Sportler und Zuschauer in Sotschi bedroht. Mehrere Gesetzesänderungen der vergangenen Wochen geschahen im Namen der Sicherheit, geben aber Anlass zur Sorge: etwa die Einführung von Internet-Blockaden ohne richterliche Anordnung, die künftig auch oppositionelle Demonstranten treffen könnten. Doch eine Zuspitzung der ohnehin angespannten Lage im Kaukasus kann keine Gewinner hervorbringen, sondern nur Verlierer.

Das Pulverfass Kaukasus ist zudem kein Problem, das von Putin geschaffen wurde, sondern das Resultat von Jahrhunderten russischer Expansionspolitik. Moskau wird dieses Problem noch lange beschäftigen. Das einzige, was Deutschland derzeit tun kann, ist: den Angehörigen der unschuldigen Opfer das Mitgefühl aussprechen - und dazu beitragen, die Olympischen Spiele zu einem Fest des Sports werden zu lassen. Nicht für Putin. Sondern trotz Putin.

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