Eine Ernennung als harte Botschaft an London

Brüssel · Der wichtigste Mann der EU für die Austrittsgespräche mit Großbritannien kommt aus der französischen Provinz: Michel Barnier , tief verwurzelt in seiner Heimat Savoyen, bringt für die neue Aufgabe viel Erfahrung in der Europapolitik mit. Stilsicher reagierte der 65-jährige Franzose gestern auf seine Berufung zum EU-Chefunterhändler für den Brexit auf Twitter in Englisch, Französisch und Deutsch - in dieser Reihenfolge.

Jean-Claude Juncker habe Barnier mit der "Vorbereitung und Führung" der Austrittsgespräche betraut, teilte die Kommission mit. Er werde direkt an den Kommissionspräsidenten berichten und "die besten Kommissionsexperten zu seiner Verfügung haben". Barnier tritt seinen Posten am 1. Oktober an. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte schon Ende Juni mit dem belgischen Diplomaten Didier Seeuws einen eigenen Brexit-Beauftragten benannt. Der Schwerpunkt der Verhandlungen dürfte aber bei der Kommission liegen. Sie verfügt mit ihren 33 000 Mitarbeitern anders als der Rat der Mitgliedstaaten über die nötigen Experten, um die komplizierten Details der Gespräche zu erfassen.

Die Briten hatten sich bei einer Volksabstimmung am 23. Juni mit rund 52 Prozent für den Austritt aus der EU ausgesprochen. Der offizielle Austrittsantrag der britischen Regierung nach Artikel 50 des EU-Vertrages steht aber noch aus. Erst danach beginnen die auf zwei Jahre befristeten Verhandlungen mit der EU über die Entflechtung der komplexen Beziehungen zwischen beiden Seiten.

Barnier, der sich selbst als "Patriot und Europäer" bezeichnet, war schon französischer Umweltminister, bevor er 1995 bis 1997 die Aufgabe des Europaministers in Paris übernahm. Im französischen Senat hatte er Savoyen keine volle Wahlperiode vertreten, als er 1999 EU-Kommissar für die Regionalpolitik und die Reform der Europäischen Institutionen wurde. In dieser Funktion wirkte er im Europäischen Konvent am letztlich gescheiterten Verfassungsentwurf für die EU mit. Über Europa diskutierte er übrigens auch mit dem damals amtierenden Papst Benedikt XVI ., als er ihn an der Seite von Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer kurz vor dessen Rücktritt in Privataudienz traf.

Ein Jahr lang war der Konservative französischer Außenminister, zwei Jahre lang vertrat er als Landwirtschaftsminister Frankreichs Agrarinteressen in Brüssel . Nach anderthalb Jahren im EU-Parlament zog der Franzose 2010 wieder in die Brüsseler EU-Kommission ein, diesmal für Binnenmarkt und Dienstleistungen. Nach außen trat er dort stets höflich auf, Mitarbeiter beklagten mitunter einen harten Chef. Bei vielen Bankern der City of London dürfte er aus dieser Zeit in unguter Erinnerung sein: Da sein Ressort auch Finanzdienstleistungen abdeckte, war er maßgeblich am Aufbau der europäischen Bankenunion und der stärkeren Regulierung der Branche als Reaktion auf die Finanzkrise beteiligt. Die City habe Barnier damals regelrecht "dämonisiert", sagte Jacques Lafitte von der Investment-Beratergruppe Avisa. Mit der Ernennung Barniers zum Brexit-Verhandlungsführer hätte die Kommission "den Engländern keine härtere Botschaft senden können".

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