Ein unglaublich schöner Titel

Das waren 120 Minuten, die unsere Emotionszentren nie vergessen werden: 1:0 gegen Argentinien. Schweinsteiger kämpfte bis aufs Blut, Hummels bis zur Körper-Kapitulation, Klose war eine Sensation, Götze, Neuer, Boateng waren weitere Attraktionen.

120 Minuten echte Fußballgefühle waren das - und am Ende ist Deutschland Weltmeister . Es fühlt sich noch so unwirklich an, wie der Abstieg des 1. FC Saarbrücken 2008 in die Oberliga. Mit einem Unterschied. Das Gefühl, Weltmeister zu sein, ist schön.

Vierzehn Jahre arbeitete der Deutsche Fußball-Bund darauf hin, diesen Endorphin-Überschuss in deutschen Köpfen zu produzieren. Schon 2000 war der Rasen der Tatsachen aus deutscher Sicht nur ein Acker. Das Vorrunden-Aus 2000 mit Trainer Ribbeck und 2004 mit Völler bei den Europameisterschaften waren die Tiefpunkte.

Als Jürgen Klinsmann 2004 die Nationalelf übernahm, war Folgendes festzustellen: keine Technik, keine Spielphilosophie, keine Talentförderung, das Ansehen im Ausland im Keller. Klinsmann krempelte alles um, setzte auf junge Spieler, auf schnelles, technisches Spiel. Deutschland zweifelte.

Die WM 2006 in Deutschland zeigte erste Erfolge, das Spiel der Deutschen entzückte. Nicht zuletzt, weil der DFB mittlerweile seine Talentförderung ausgebaut hatte, Leistungszentren einforderte, eigene Stützpunkte installierte, um dem deutschen Nachwuchs die Gene in Richtung Genie zu manipulieren.

Ein WM-Turnier mit Klinsmann und vier weitere große Turniere mit seinem Nachfolger Löw mussten aber noch vergehen, ehe das geschah, was wir am Sonntag erleben durften. Eine deutsche Mannschaft, die kämpft und schön spielt. Dazu musste Manager Bierhoff jahrelang Professionalisierung anmahnen und durchsetzen. Chefscout Siegenthaler filetierte Systeme und Mentalitäten der Gegner, Löw feilte und lebte die Strategie. Die EM 2008 schloss Deutschland als Zweiter ab, scheiterte an übermächtigen Spaniern. Die WM 2010 in Südafrika hinterließ eine ungläubig verzückte Fußballwelt, als sie die schönen Deutschen sah. Doch der Titel blieb genauso verwehrt wie 2012 bei der EM. Schön - aber uneffektiv. Die Elf nebst Trainer scheiterten an ihrer Feingeistmentalität, war der Vorwurf.

Fußball-, Export-, Biertrink-Weltmeister - all das waren die Deutschen mal. Weil sie hart arbeiten, ließ des Volkes Stimme wissen. Umso schöner ist nun der Erfolg von Rio. Denn die Mannschaft kämpfte - und spielte schön. Eine seltene Symbiose, die zwei Dinge schafft, die keine politische und religiöse Idee mehr hinbekommen: Ein deutsches Volk hinter sich zu bringen und das Ausland von Deutschland schwärmen zu lassen. Einfach unglaublich.

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