Ein Sturz des Präsidenten macht Merkel keine Angst

Berlin. Erst schwieg der Bundespräsident. Jetzt schweigen auch die Koalitionäre in Berlin. Kein Wort der Unterstützung von niemandem. Schweigen ist ein wesentlicher Teil menschlicher Kommunikation, sagen Wissenschaftler. In der Politik, wo ständig irgendwas mitgeteilt oder in Mikrofone gesprochen wird, ist Schweigen eines der schärfsten strategischen Mittel

Berlin. Erst schwieg der Bundespräsident. Jetzt schweigen auch die Koalitionäre in Berlin. Kein Wort der Unterstützung von niemandem. Schweigen ist ein wesentlicher Teil menschlicher Kommunikation, sagen Wissenschaftler. In der Politik, wo ständig irgendwas mitgeteilt oder in Mikrofone gesprochen wird, ist Schweigen eines der schärfsten strategischen Mittel. Schweigen lässt kalkuliert Raum für Spekulationen, es ist ein Signal - in diesem Fall eines für den geschwundenen Respekt gegenüber Wulff.Nicht einmal der Saarländer Peter Altmaier mochte sich gestern interviewen lassen. Lediglich ein paar Zeilen im Internet-Dienst Twitter ließ der Unions-Fraktionsgeschäftsführer noch los. Zum Fall Wulff, so schrieb Altmaier, habe er sich bereits "vor Weihnachten intensiv geäußert. Es war klar, dass die Debatte nach Weihnachten weitergeht: Das ist Demokratie." Vor dem Fest hatte sich der Vertraute der Kanzlerin noch auffallend oft für Wulff verwendet.

Angela Merkel selbst schweigt seit dem 19. Dezember. Da erklärte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter, es habe sich "nichts daran geändert, dass die Bundeskanzlerin volles Vertrauen in die Person Christian Wulff und in die Amtsführung des Bundespräsidenten hat". Drei Tage später, Wulff hatte sich gerade zu seinem umstrittenen Privatkredit erklärt, war die Luft schon weitestgehend raus. "Die Worte des Bundespräsidenten stehen für sich", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Ihnen ist nichts hinzuzufügen." Dabei blieb es.

Heute allerdings könnte das Schweigen gebrochen werden. Dann ist Regierungs-Pressekonferenz, und irgendetwas wird dort auf die Fragen der Hauptstadtpresse schon geantwortet werden. Allzu viel ist aber nicht zu erwarten. Denn Merkel steckt im ewigen Dilemma einer Regierungschefin: Sagt sie etwas zum Fall Wulff, dann heißt es in der öffentlichen Deutung, sie sehe sich genötigt, dem Stürzenden die rettende Hand zu reichen. Sagt sie nichts, dann heißt es, sie sitze mal wieder alles aus.

Falls Wulff tatsächlich sein Amt aufgibt, wovon viele Beobachter in Berlin derzeit ausgehen, dann dürfte sich der politische Schaden für Merkel in Grenzen halten. Schon beim Rücktritt von Horst Köhler war gemutmaßt worden, dies bedeute auch das Ende der schwarz-gelben Koalition. Das Ergebnis ist bekannt. Sollte Wulff gehen, wird Merkel wie im Fall Köhler reagieren: innerhalb kürzester Zeit einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin präsentieren und die Personalie in der Bundesversammlung mit knapper Mehrheit durchboxen. Die Bürger werden es der CDU-Chefin kaum anlasten. Denn seit Köhlers mimosenhaftem Rückzug hat das Ansehen des Präsidentenamts gelitten, Merkel wiederum kann laut Umfragen mit ihrer Außenpolitik punkten.

Merkels Schweigen lässt noch eine andere Deutung zu. Die Kanzlerin hat eine Menge andere Sorgen als die um Wulff, der so viel getan hat, was Merkel wohl nie tun würde: sich mit reichen Freunden umgeben, ein Haus kaufen, dessen Kosten das eigene Budget weit überschreiten, das Blitzlicht und den roten Teppich suchen. Merkel wird sich dieser Tage eher um die Euro-Rettung kümmern, am Montag beispielsweise kommt Frankreichs Regierungschef Nicolas Sarkozy nach Berlin. Dieser Termin dürfte Merkel mehr interessieren als das Schicksal eines Mannes, der einst dem "Andenpakt" mit Merkel-Konkurrenten wie Roland Koch und Günther Oettinger angehörte. Eines Mannes, den sie Mitte 2010 mit etwas Mühe ins Präsidentenamt gehoben und damit aus dem Weg geräumt hatte.

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