Ein neuer Klang der Freiheit

Meinung · Am Anfang stand die Angst. Vor der freien Fahrt für Kriminelle, vor einer gewaltigen Welle von Asylbewerbern und Zuwanderern sowie vor Nachbarn, die die neuen Außengrenzen nicht würden sichern können. Nichts davon trat ein. In Schengen tat Europa vor 25 Jahren einen Schritt, der wohl nur mit der Gründung der EG oder der Einführung des Euro zu vergleichen ist

Am Anfang stand die Angst. Vor der freien Fahrt für Kriminelle, vor einer gewaltigen Welle von Asylbewerbern und Zuwanderern sowie vor Nachbarn, die die neuen Außengrenzen nicht würden sichern können. Nichts davon trat ein. In Schengen tat Europa vor 25 Jahren einen Schritt, der wohl nur mit der Gründung der EG oder der Einführung des Euro zu vergleichen ist. Als die ersten Mitglieder beschlossen, die Schlagbäume in den folgenden Jahren abzuräumen, bekam das Wort von der Freiheit einen neuen Klang. Die junge Generation kann sich das gar nicht mehr vorstellen: endlose Staus an Grenzkontrollen, nur weil man zum Skifahren nach Österreich, zum Einkaufen nach Frankreich, zum Besuch nach Polen fahren wollte. Ohne Zwischenstopp von Stockholm bis Palermo, von Warschau bis Nizza - dass diese Idee Wirklichkeit werden könnte, glaubten nicht einmal die Staatssekretäre, die damals am Mosel-Ufer das Abkommen unterzeichneten. Die amtierenden Staats- und Regierungschefs auch nicht. Sie waren erst gar nicht zur Zeremonie erschienen.Europa wurde spürbar, als Menschen hüben und drüben die Grenzkontrollen abbauten. Nein, die Sicherheit hat nicht gelitten. Die Verbrechensrate im Schengen-Raum weicht heute nicht von der Großbritanniens ab, das nach wie vor auf Schlagbäumen beharrt. Andererseits entstand mit Europol in Den Haag eine Polizeizentrale, die zur Schlüsselstelle für koordinierte Fahndung wurde. Dank der Rechner des Schengen-Informationssystems können Ermittler vor Ort binnen Augenblicken erfahren, ob über einen Verdächtigen irgendwo in Europa Erkenntnisse vorliegen. Der fehlende Ausbau des Computer-Netzwerks mag ärgerlich sein, aber die Nachrüstung des vorhandenen Systems machte schlagkräftige Ermittlungen innerhalb der Union erst möglich. Und die Außengrenzen sind heute ein so undurchlässiges Bollwerk, dass manche schon um das Grundrecht auf Asyl fürchten.Schengen ist eine Erfolgsgeschichte der EU, die täglich funktioniert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Es sei denn, wir versuchen, jenseits der weggeräumten Grenzbarrieren zu arbeiten: Nationale Hindernisse und unterschiedliche Steuersysteme machen das zumindest schwierig. Wenn es also Defizite gibt, dann weniger bei der Sicherheits-Architektur des Schengen-Raums als bei seiner Fortentwicklung zum freien Markt für Arbeitnehmer und Dienstleistungen.Europa machte mit dem Versprechen der Freiheit ernst. Auf einem Kontinent, der damals noch geteilt war und erst 40 Jahre zuvor einen der schlimmsten Kriege beendet hatte. Schengen ist der Beleg dafür, welche Kreise eine große europäische Idee ziehen kann - bis heute.

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