Ein Mann klarer Worte für eine schwierige Aufgabe

Frankfurt. Mit dem ersten Vertreter der Nachkriegsgeneration als Präsident dürfte ein frischer Wind im Zentralrat der Juden in Deutschland einziehen. Der 60-jährige Dieter Graumann, der gestern zum Nachfolger von Charlotte Knobloch gewählt wurde, hat sich für sein neues Amt einiges vorgenommen

Frankfurt. Mit dem ersten Vertreter der Nachkriegsgeneration als Präsident dürfte ein frischer Wind im Zentralrat der Juden in Deutschland einziehen. Der 60-jährige Dieter Graumann, der gestern zum Nachfolger von Charlotte Knobloch gewählt wurde, hat sich für sein neues Amt einiges vorgenommen. An der Spitze der Vertretung von rund 106 000 Menschen jüdischen Glaubens im Land standen bisher ausschließlich Männer und Frauen, die die Judenverfolgung am eigenen Leib erfahren hatten. Graumann aber wurde erst 1950 und damit fünf Jahre nach Ende der Nazi-Herrschaft geboren. Und zwar in Israel, als Sohn von Holocaust-Überlebenden. Nach dem Umzug von Israel nach Frankfurt gaben ihm die Eltern den deutschen Vornamen Dieter, damit er so kurz nach Kriegsende in der Schule nicht gleich als Jude erkennbar war. Alter und Geschlecht allein werden es indes nicht sein, was den neuen Präsidenten von seiner Vorgängerin Knobloch unterscheidet, die mit 78 Jahren auf eine neuerliche Kandidatur verzichtet hatte.Es geht Graumann auch um eine andere Darstellung der deutschen Juden in der Öffentlichkeit. "Judentum bedeutet eben nicht nur immer Verfolgung und Elend und Katastrophen", sagte er vor wenigen Tagen in der Frankfurter Paulskirche in seiner Rede zum Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938, die durchaus als Regierungserklärung gelesen werden kann. Statt überkommener Klischees sollten künftig mehr Tiefe, Sinn, Wärme, Herzlichkeit, Temperament, Lebenslust und modern ausgelebte Tradition herausgestellt werden. "Judentum ist keineswegs nur trübe und traurig, keineswegs nur fortwährend meckernd und miesepetrig, sondern durchaus auch fröhlich, heiter, optimistisch, pulsierend, spannend, herzlich und immerzu begeistert dem Leben zugewandt", findet er.

Dabei kann Graumann durchaus scharf und zugespitzt formulieren. So hat er nicht nur kritisiert, "dass die NPD in Deutschland nahezu ungehindert ihr Gift verbreiten kann, dafür noch öffentliche Gelder kassiert". Auch der deutschen Wirtschaft gegenüber nimmt er kein Blatt vor den Mund. Unternehmen verdienten "bloß Schande und Verachtung" für übereifrige Geschäfte mit dem Mullah-Regime in Iran und "dem schlimmsten Hassprediger und Hetzer" Mahmud Ahmedinedschad als Präsident. "Wo bleibt denn der deutsche Wirtschaftsführer, der seinen hier so schamlos handelnden Kollegen einmal ins offenbar zu oft gar nicht vorhandene Gewissen redet?", fragt Graumann.

Der neue Zentralratspräsident ist zugleich als Mann der klaren Worte wie auch als effektiver Arbeiter im Stillen bekannt. Ohne viel Aufhebens hat er sowohl die Finanzen des Zentralrats saniert als auch erfolgreich die Verhandlungen mit der Bundesregierung über die finanzielle Unterstützung der jüdischen Gemeinden in Deutschland geführt.

Aber bei aller Neuorientierung wird ein entschiedenes Eintreten gegen Antisemitismus natürlich auch von Graumann zu erwarten sein. Er hat auch die muslimischen Verbände in Deutschland aufgefordert, entschiedener gegen derartige Tendenzen unter Jugendlichen ihrer Religion vorzugehen. Andererseits stellte sich Graumann demonstrativ an der Seite der Muslime, als die Kampagne gegen den Bau von Minaretten bei der Volksabstimmung in der Schweiz obsiegte.

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