Ein kleines Weltgericht für große Verbrecher

Den Haag. Jeden Tag trägt Hans-Peter Kaul eine abgewetzte hellblaue Broschüre in der Jackentasche bei sich. Die Charta der Vereinten Nationen, der bedeutendste aller internationalen Verträge

Den Haag. Jeden Tag trägt Hans-Peter Kaul eine abgewetzte hellblaue Broschüre in der Jackentasche bei sich. Die Charta der Vereinten Nationen, der bedeutendste aller internationalen Verträge. Der zweitwichtigste liegt im Büro des deutschen Richters und Vizepräsidenten des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag stets griffbereit: das Römische Statut, die Grundlage des Weltstrafgerichts. An diesem Samstag wird zum ersten Mal offiziell der Tag der Internationalen Strafjustiz begangen. So mancher habe damals, am 17. Juli 1998, in Rom nicht daran geglaubt, dass aus der Absichtserklärung von 120 Staaten tatsächlich eine arbeitsfähige Institution werden würde, sagt der Völkerrechtler Kaul. Er war jahrelang für die Bundesrepublik an den Verhandlungen über den IStGH beteiligt. "Und heute verfügen wir über ein funktionsfähiges Weltstrafgericht, ein Gericht mit immerhin 1050 Mitarbeitern, das eine anerkannte Rolle spielt." Mit einer Anerkennung des IStGH war es freilich in den USA, dem mächtigsten Land der Welt, lange Zeit nicht weit her. Fast schien die Institution zu entgleisen. Präsident George W. Bush sah darin ein potenzielles Instrument für Schurkenstaaten, US-Bürger mit juristischen Tricks an den Pranger zu stellen - mochten noch so viele Rechtsexperten solche Ängste als unbegründet bezeichnen. Die Bush-Regierung zog die Unterschrift ihrer Vorgänger unter das Rom-Statut zurück, setzte etliche Staaten unter Druck, es nicht zu ratifizieren - und erließ gar ein Gesetz, dass es US-Truppen im Zweifelsfall erlauben würde, Amerikaner aus der Untersuchungshaft des IStGH zu befreien. Inzwischen taugt das Szenario "Den Haag unter GI-Feuer" nicht mal mehr für Fantasy-Thriller. Zwar liegt es angesichts der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit im US-Senat immer noch in weiter Ferne, dass Washington das Rom-Statut ratifiziert. Aber die Regierung Barack Obama kooperiert auf verschiedenen Gebieten mit dem Weltstrafgericht. Auch deshalb gilt es heute im Haager IStGH-Hochhaus als gar nicht unwahrscheinlich, dass hier eines Tages der mächtige Präsident des Sudan wegen des Verdachts des Völkermordes vor seinen Richtern erscheint. "Ich glaube schon, dass die USA Omar al-Baschir festnehmen und nach Den Haag überstellen würden, wenn sie die Möglichkeit dazu bekämen", sagt Kaul. Optimistisch ist da auch IStGH-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo. Selbst wenn Al-Baschir das IStGH-Untersuchungsgefängnis im Haager Stadtteil Scheveningen niemals von innen sehen wird - der Einfluss des Weltstrafgerichts wächst. "Das ist das Schöne hier - wenige Fälle, aber weltweite Wirkung", sagt Moreno-Ocampo. "Inzwischen passen ganze Armeen ihre Einsatzregeln den Bestimmungen des Römischen Statuts an. Das ist ein Weg, Gewalt (gegen Zivilisten) zu verhindern; Militärs begreifen ihre rechtlichen Grenzen." Zudem sei er zuversichtlich, dass es in laufenden Verfahren gegen mehrere Ex-"Kriegsherren" in Afrika im Jahr 2011 Urteile geben werde. Eines beklagen Richter, Ankläger und Ermittler des IStGH gleichermaßen: Die Gründerväter haben dem Gericht keine Exekutivgewalt gegeben, um die eigenen Entscheidungen vollstrecken zu können. "Das ist nun mal eine Realität, mit der das Gericht leben muss", sagt Kaul. Auch deshalb konnten bislang von 14 Haftbefehlen nur vier vollstreckt werden.

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