Ein Hauch Hoffnung für ein geschundenes Land

Nairobi. Kenia ist derzeit im Ausnahmezustand. Kein anderes Thema beschäftigt das ostafrikanische Land so sehr wie der Entwurf einer neuen Verfassung, über den heute unter dem Motto "Eine neue Verfassung, ein geeintes Kenia" mit einer Volksabstimmung entschieden wird

Nairobi. Kenia ist derzeit im Ausnahmezustand. Kein anderes Thema beschäftigt das ostafrikanische Land so sehr wie der Entwurf einer neuen Verfassung, über den heute unter dem Motto "Eine neue Verfassung, ein geeintes Kenia" mit einer Volksabstimmung entschieden wird. Während sowohl Befürworter als auch Gegner Mängel in dem vorliegenden Dokument erkennen, zeigen Meinungsumfragen dennoch eine breite Zustimmung unter den rund zwölf Millionen Wahlberechtigten. Viele Menschen setzen große Hoffnung in die neue Verfassung, dürsten nach einer Gesetzgebung, die ihre Interessen vertritt. Die Ungeduld ist verständlich in einem Land, das jahrzehntelang von einem übermächtigen Präsidenten regiert wurde und nach der gefälschten Präsidentenwahl vom Dezember 2007 in Gewalt versank: 1500 Menschen starben, 300 000 verloren ihr Obdach. Eine neue Verfassung ist Teil des Friedensabkommens von 2008, das der Gewalt ein Ende setzte. Und es ist das zweite Mal, dass die Kenianer über einen neuen Verfassungsvorschlag abstimmen. Der erste Entwurf wurde 2005 mehrheitlich abgelehnt. Der jetzige Entwurf sieht unter anderem vor, die Macht des Präsidenten zu beschneiden und politische Entscheidungsgewalt zu dezentralisieren. So könnte der Präsident nicht mehr eigenmächtig Schlüsselpositionen in der Regierung besetzen. Zudem soll eine Kommission die Landvergabe untersuchen. Parlamentarier könnten bei schlechter Leistung ihren Sitz verlieren und die Rolle von Frauen würde gestärkt. Außerdem wären Abtreibungen erlaubt, wenn Lebensgefahr für die Mutter besteht. Seit nunmehr drei Monaten diskutiert Kenia heftig über die neue Verfassung. Jeden Tag erscheinen Kommentare zu einzelnen Paragrafen in den Zeitungen, auch im Fernsehen wird das Gesetzeswerk Stück für Stück auseinander genommen. Doch wenn die Kenianer heute abstimmen, geht es im Kern nur um zweierlei: um Macht und um Land. Befürworter ("Grüne") und Gegner ("Rote") der neuen Verfassung reisen durchs Land, um Stimmung für oder gegen den Entwurf zu machen, den ein Gremium aus unabhängigen Juristen erstellt hat. Die Kundgebungen gleichen Wahlkampfveranstaltungen. Zu den Rednern gehört auch Ex-Präsident Daniel arap Moi, der Kenia bis Ende 2002 fast 25 Jahre lang despotisch regiert hatte. Kaum eine andere Figur polarisiert wie er das Land bis heute in zwei unversöhnliche Lager. Moi ist gegen den Entwurf. Bei einer Rede im südlichen Riftvalley, der Heimat der Massai, warnt er seine Zuhörer: "Die Verfassung gefährdet die Rechte an Eurem Land, seid vorsichtig, dass man sie Euch am Wahltag nicht stiehlt." Tatsächlich, so sagen Kritiker, dürfte es Moi darum gehen, seine eigenen Pfründe zu sichern. Als seinem Regime das Geld ausging, verlegte sich Moi darauf, seine Anhänger mit staatlichem Land zu bezahlen. Menschenrechtler schätzen, dass alleine in den letzten Moi-Jahren hunderttausende Hektar Land illegal den Besitzer wechselten. Auch der inoffizielle Anführer der Reformgegner, William Ruto, redet seinen Anhängern seit Wochen ein, man wolle ihnen ihr Land wegnehmen. Die Zündelei gerade im Riftvalley ist gefährlich: Dort lag das Zentrum der jüngsten Gewalt. Die Wunden, die viele Volksgruppen erlitten haben, sind noch frisch. Der Stil zeigt, worum es Politikern wie Ruto wirklich geht: Um die Frage, wer Präsident Mwai Kibaki 2012 nachfolgen soll.

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