SZ-Gastbeitrag Landtagspräsident Toscani Ein Durchbruch zur Erneuerung der EU

SAARBRÜCKEN Derzeit hält der Umgang mit Flüchtlingen an der Grenze die Republik in Atem. Das verstellt den Blick auf andere Fragen, die für Deutschland und die Europäische Union von außerordentlicher strategischer Relevanz sind: die Eurozone sowie die europäische Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit.

Für beide Fragen hat der deutsch-französische Gipfel in Meseberg vor kurzem einen Durchbruch erzielt. Doch sofort waren sie wieder da, altbekannte Stereotypen: „Verhinderungsprogramm für Reformen“ und „Transferunion“. Solche Stereotypen sind nicht nur vorschnell. Nein, sie sind auch grob fahrlässig, weil sie den Wert des Meseberger Kompromisses verkennen.

Deutschland hat derzeit einen französischen Partner, der unserem Land offener gegenüber steht als jede andere französische Regierung der letzten Jahrzehnte. Präsident Emmanuel Macron, Premier Édouard Philippe und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire; sie alle sind Deutschland zugewandt – sprachlich und kulturell. Das Entscheidende aber ist: In politischer Hinsicht setzen sie voll und ganz auf die deutsch-französische Zusammenarbeit, um die EU zu erneuern. Es liegt in unserem elementaren Interesse, mit dieser Regierung konstruktiv zusammenzuarbeiten.

Bei der Reform der Wirtschafts- und Währungsunion schafft die Verständigung von Meseberg einen Kompromiss zwischen Eigenverantwortung und Solidarität, zwischen Haftung und Unterstützung. Beide Partner, Deutschland und Frankreich, haben sich in diesem Spannungsfeld, das seit Jahren bestand, auf eine gemeinsame Linie verständigt. Darin liegt die zentrale Bedeutung der Meseberger Verständigung. Für die Vollendung der Bankenunion heißt dies zum Beispiel, dass eine gemeinsame Einlagensicherung erst dann umgesetzt wird, wenn das Übermaß fauler Kredite in den Bankbilanzen nachhaltig abgebaut ist.

Staatspräsident Macron arbeitet intensiv an der Verbesserung der französischen Wettbewerbsfähigkeit. Erstmals seit zehn Jahren hält Frankreich die Vorgaben des Stabilitätspaktes ein. Deutschland tut gut daran, diese Schritte anzuerkennen. Frankreich fälschlicherweise als Speerspitze einer Phalanx südeuropäischer Staaten im Kampf für eine Transferunion zu bezeichnen, wäre ein schwerer Fehler.

Auch aus wirtschaftlichen Gründen darf sich Deutschland beim Thema Solidarität in der EU nicht ständig wegducken: Wir leben zum großen Teil vom Export. Fast 60 Prozent aller Waren „Made in Germany“ liefern wir in die EU, in der es keine Binnenzölle mehr gibt. Im Jahr 2017 hatten sie einen Gesamtwert von 750 Milliarden Euro. Deutschland ist der große Profiteur des Binnenmarktes.

Wenn wir die EU nicht krisenfest machen, dann werden die wirtschaftlichen Verwerfungen größer und größer – zum Nachteil aller; auch und vor allem des Exportlandes Deutschland. Und: Wenn wir Europa nicht krisenfest machen, wird Europa im globalen Maßstab zunehmend an Bedeutung verlieren; mit unabsehbaren Folgen für unseren „European Way of Life“. Deswegen dürfen wir die Ergebnisse von Meseberg nicht auf die Wirtschafts- und Währungsunion reduzieren. Macron hat sich zum Beispiel zur Prüfung außenpolitischer Mehrheitsentscheidungen in der EU bereit erklärt. Auch der von Bundeskanzlerin Angela Merkel geforderte EU-Sicherheitsrat findet sich wieder.

Die Ergebnisse von Meseberg bedeuten einen Durchbruch. Sie sind eine große Chance. Reden wir sie nicht schlecht, sondern erkennen wir ihren herausragenden Wert zur Stärkung der deutsch-französischen Beziehungen und zur Erneuerung der Europäischen Union!

Stephan Toscani (CDU) ist Landtagspräsident des Saarlandes und Mitglied im erweiterten Vorstand der Europäischen Volkspartei.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort