Ein bisschen Attacke

Peer Steinbrück hat Angela Merkel vor ein paar Tagen aufgefordert, die US-Spähaffäre zu ihrem persönlichen „Irak“ zu machen. Sich also wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder offen und standhaft gegen den amerikanischen Partner zu stellen.

Gestern hat die Kanzlerin reagiert, in der ihr eigenen Hase-und-Igel-Art: Ich bin schon da. Sie zitierte wie zum Hohn sogar Schröders Satz, dass nicht das Recht des Stärkeren gelte, sondern die Stärke des Rechts.

Freundlich im Ton hat Merkel den USA nicht einen Krieg verweigert wie damals der Sozialdemokrat, sondern eine Art "Kalten Krieg" erklärt. Erstens mit dem Hinweis auf die Durchsetzung deutschen und europäischen Rechts für alles, was auf deutschem und europäischem Boden stattfindet. Und zweitens mit der Formulierung einer eigenen industriellen Internet-Strategie in Europa.

Würde beides realisiert, wäre das eine weit in die Zukunft reichende Antwort auf die Schnüffelei des Geheimdienstes NSA. Und diese Antwort wäre besser als der ausschließlich rückwärts gerichtete Blickwinkel, der zurzeit unter dem Stichwort "Aufklärung" eingenommen wird. Denn dann hätte das Ausspionieren von Bürgern, Industrie und Politik in Europa den USA keinen Vorteil gebracht, sondern genau gegenteilige Effekte ausgelöst: die langfristige Abschottung der europäischen Datenströme und mehr noch, die Herausbildung einer unabhängigen europäischen IT-Industrie. Und in der Tat: Warum soll es nur Google, Facebook, Twitter, Intel, Apple, Microsoft, Youtube & Co. geben, die alle mit dem amerikanischen Geheimdienst zusammenarbeiten? Warum nicht auch eine starke Branche für Informationstechnik, die europäischen Rechtsstandards unterliegt? Zumal ja nicht nur der laxe Umgang der US-Anbieter mit Daten unseren Ansprüchen widerspricht, sondern auch ihre ständige Zensur in kulturellen und moralischen Fragen.

Freilich - allein mit wohlklingenden Ankündigungen der Kanzlerin können sich die besorgten Wähler nicht abspeisen lassen. Schröder hat beim Irak tatsächlich Nein gesagt, Merkel aber bei ihrem Acht-Punkte-Internetprogramm noch gar nichts erreicht. Es ist keineswegs ausgemacht, dass bessere Datenschutz-Abkommen mit den USA gelingen. Genauso fraglich ist, ob man überhaupt noch eine eigenständige europäische Internet-Industrie aufbauen kann. Denn der Markt ist fast verteilt, und wo nicht, stehen schon chinesische, taiwanesische und russische Anbieter bereit. In jedem Fall aber wird eine solche Strategie viel Geld kosten. Auf Merkels Ankündigung muss also die konkrete politische Praxis folgen; schon der nächste EU-Gipfel könnte sich damit beschäftigen. Die Kanzlerin sollte dafür sorgen, falls sie mit ihrem Vorstoß ernst genommen werden will.

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