Ein Bazi als Nothelfer

Meinung · Der Ingolstädter Arbeitersohn Horst Seehofer wird neuer Ministerpräsident in Bayern - na und? Wieso ist diese Personalie so interessant, während von der Wahl der Regierungschefs Stanislav Tillich (Sachsen) oder Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern) kaum jemand Notiz genommen hat? Nun, weil Bayern ein besonderes Land ist und weil Horst Seehofer ein besonderer Typ ist

Der Ingolstädter Arbeitersohn Horst Seehofer wird neuer Ministerpräsident in Bayern - na und? Wieso ist diese Personalie so interessant, während von der Wahl der Regierungschefs Stanislav Tillich (Sachsen) oder Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern) kaum jemand Notiz genommen hat? Nun, weil Bayern ein besonderes Land ist und weil Horst Seehofer ein besonderer Typ ist. Er ist eine nationale Figur, die seit Jahren die Gemüter bewegt, ein bayerischer Bazi (Schlitzohr) wie aus dem Bilderbuch. Bereits gestern hat der künftige Premier einen neuen Politikstil angekündigt, "ohne Basta, Befehl und Gehorsam". Eine kleine Watsch'n in Richtung Edmund Stoiber, der sich in der Tradition des bayerischen Nationalheiligen Franz Josef Strauß als heimlicher König des Freistaats sah und Widerspruch nicht duldete. Genau damit hat das Elend der CSU aber angefangen: Als Stoiber bei der Wahl vor fünf Jahren 60,7 Prozent (und damit die Zweidrittel-Mehrheit im Landtag) geholt hatte, befleißigte er sich eines cäsarischen Führungsstils, der Verdruss produzierte und ganze Bevölkerungsgruppen verprellte. Die jetzt abgewählten Stoiber-Meuchler Erwin Huber und Günther Beckstein hatten auch deshalb keine Chance, weil sie Teil dieses Systems waren und weder über politische Intelligenz noch über Charisma verfügen. Seehofer hingegen, der smarte "Berliner" und Außenseiter, darf die genannten Attribute durchaus für sich beanspruchen. Instinkt und Bauernschläue paaren sich bei ihm trefflich mit einer gewissen Sturheit. Er selbst nennt diese Charaktereigenschaft "Standhaftigkeit". Dass der nicht uneitle Solist, Eigenbrötler und Ehebrecher nun sowohl CSU-Chef als auch Ministerpräsident im frommen Freistaat wird, kommt beinahe einem Wunder gleich. Dieser früher kaum vorstellbare Vorgang legt Zeugnis ab von der tiefen Not, in der sich die ehemalige Staatspartei derzeit befindet. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel und die große Koalition wird das Regieren damit nicht einfacher. Das zeigt schon der erbitterte Streit um die Erbschaftsteuer. Seehofer kennt die Zwänge, aber auch die Schliche des Berliner Betriebs bis ins Detail. Er wird versuchen, das gestörte Selbstwertgefühl der Bayern ("Mir san mir") wieder zu stärken, er wird Folklore mit Machtpolitik mixen und wohl auch mehr versöhnen als spalten. Seehofer, dem Populismus nicht fremd ist und der (sozialpolitisch) auch gegenüber dem linken Kaliber Oskar Lafontaine keine Berührungsängste hat, ist für Bürger und Medien gleichermaßen interessant. Auch deshalb hat die CSU mit ihm sicherlich die richtige Wahl getroffen.

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