Ein arabischer Frühling ist weder zart noch rosa

Kairo · Schon mal einen Frühling im Nahen Osten erlebt? Es ist kein sanftes Erblühen mit zarten Knospen und lauen Winden. Meist bringt er Sandstürme, Unwetter und sintflutartigen Regen mit sich.

Der Frühling dort ist eine raue, oft tückische Jahreszeit. In Europa und den USA wird angesichts der dramatischen Ereignisse in Ägypten, der brutalen Gewalt in Syrien und der Rückschläge in anderen Ländern der Region die Frage laut, ob der arabische Frühling schon vorbei ist und in den Winter übergeht. Die Antwort: Er ist nicht vorbei. Die Aufstände sind eine historische Zäsur. Und der arabische Frühling entspricht schlicht den lokalen Wetterverhältnissen.

Realistischerweise kann niemand erwarten, dass die Revolutionsländer den nahtlosen Übergang vom autoritären System zur Demokratie schaffen. Es fehlt nicht an gutem Willen, es fehlt an Demokraten. Hinzu kommen die gut organisierten Islamisten mit ihrer disziplinierten Anhängerschaft - wichtige politische Gruppen, deren demokratische Überzeugung allerdings in Zweifel steht. Die Lage ist kompliziert und frustrierend für die Beteiligten, aber auch typisch für Länder im Umbruch. Der Prozess der Demokratisierung ist immer von Instabilität begleitet, von Rückschlägen und Enttäuschungen.

Die Rebellion in der arabischen Welt ist durchaus vergleichbar mit dem Umbruch in Mittel- und Osteuropa. Auch dort erblühte nicht gleich die Demokratie, sondern es gab Armut, Kriminalität und Gewalt. In Russland träumt man fast 30 Jahre nach Glasnost und Perestroika noch immer von einer lupenreinen Demokratie. In Ostdeutschland brannten Flüchtlings-Unterkünfte, der Rechtsradikalismus blühte. Der Balkan versank im Bürgerkrieg und erholt sich erst jetzt langsam von diesen dunklen Jahren.

Der Aufstand in den arabischen Ländern ist nicht besser und nicht schlechter als die Umwälzungen in anderen Staaten. Es werden Fehler gemacht, und das ägyptische Bündnis der Aufständischen mit dem Militär ist ganz sicher einer. Ob tatsächlich Demokratien entstehen, wie sie uns im Westen gefallen, ist offen. Wahrscheinlich wird der politische Islam eine größere Rolle spielen. Und möglicherweise wird sich die Lage für Frauen und Minderheiten sogar erst einmal verschlechtern, ehe es aufwärts geht. Falls es aufwärts geht. Aus Rückschlägen wie in Ägypten aber gleich zu schließen, dass die arabischen Länder nicht zur Demokratie taugen, wäre anmaßend und überheblich.

Der Demokratisierungsprozess in den Ländern des arabischen Frühlings wird sicher zehn Jahre dauern, vielleicht länger. Bis die demokratischen Systeme fest verankert sind, könnten Jahrzehnte ins Land gehen. Das ist eine Zeitspanne, für die in unserer schnelllebigen Zeit die Geduld nicht mehr ausreicht. Die Langsamkeit politischer Prozesse entspricht nicht dem Tempo von Twitter-Gewittern oder einem beiläufigen "Gefällt mir" auf Facebook. Doch wäre der arabische Frühling bereits ein Winter, dann sähe es auf Kairos Tahrir-Platz aus wie auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking oder in den Gefängnissen des Iran nach der Grünen Revolution von 2009. Der Wille zur Freiheit und der Wunsch nach Mitbestimmung sind keine westlichen Eigenarten. In Ägypten, Syrien, Tunesien, Libyen und dem Jemen wird es nie mehr so sein wie vorher - auch wenn die Revolutionen noch unvollendet sind.

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