Eilauftrag für Europa

Europa kann mit diesem Wahlergebnis nicht zufrieden sein. Da ist ein Parlament, noch stärker zersplittert als vorher.

Ein Wahlsieger, der nicht weiß, ob er werden darf, wofür er angetreten ist. Eine Wahlbeteiligung, die immer noch miserabel ist und die Frage weckt, ab wann eine politische Ordnung demokratisch legitimiert ist. Für einen Morgen danach sind es zu viele Fragezeichen, die bleiben.

Dabei wissen alle, woran es gelegen hat: Die EU erscheint vielen längst wie eine überstaatliche Regierung. Etwas, das die europäischen Wähler genauso wenig wollen wie die politische Fantasie von "mehr Europa". Zumindest so lange nicht, wie Brüssel nicht deutlich machen kann, dass man für Probleme auch wirklich Lösungen findet.

Dabei dürfte die EU durchaus für sich in Anspruch nehmen, dass ihre Leistungen besser sind als ihr Ruf. Aber an diesem katastrophalen Image haben diejenigen, die seit gestern Abend wohlfeile Analysen über Europa von sich geben, fleißig mitgearbeitet. Für die nationale Politik ist Brüssel nämlich beides: Sündenbock - und Instrument zur Durchsetzung eigener Vorhaben, die man zu Hause lieber nicht breit tritt.

Die Gemeinschaft kann mit den neu bestimmten Mehrheiten leben. In der politischen Mitte wächst jene unausgesprochene große Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten heran, die es auch bisher schon gab. Grüne und Liberale werden ihnen kritisch assistieren, um die Beschädigungen von rechts und links so gering wie möglich zu halten. Die in ihren Mitgliedstaaten erstarkten Rechten, Nationalisten und EU-Skeptiker dagegen bleiben auch künftig ein in sich zerstrittenes Häufchen Hinterbänkler, das im Alltagsbetrieb ziemlich untergehen dürfte. Politische Gewichte haben sich verschoben, aber nicht besorgniserregend. Auftrieb für das Projekt Europa sieht also anders aus. Ein Misstrauensvotum gegen Brüssel aber auch.

Das klingt nach einem einfallslosen "Weiter so". Es wäre die falsche Konsequenz. Dieses Europa muss zu seinem Leitmotiv zurückfinden. Das gegenseitige Ausbremsen der Mitgliedstaaten schadet ihnen selbst am meisten. Und die Bürger lassen sich mit ständig neuen Auflagen für ihren Alltag ohnehin nicht beeindrucken. Das neue Parlament muss zusammen mit der künftigen Kommission neue Ideen entwickeln. Themen, die einen echten europäischen Mehrwert bringen, und eine Politik, die der Bürger schätzt, weil sie Ergebnisse schafft. Zu Hause aber müssen die Wähler lernen, skeptisch zu werden, wenn ihnen Landes- oder Bundespolitiker plötzlich erzählen, diese EU sei ein Moloch und an allem schuld.

Diese Wahl war keine Wende für Europa, sondern ein Auftrag: Macht es besser. Die nächsten fünf Jahre müssen eine Erfolgsgeschichte werden, die jeden überzeugt. Und für die sich jeder stark macht.

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