Eher Partner als Freund

Ziemlich beste Freunde sehen anders aus. Europa und die Türkei sind sich auch nach diesem Spitzentreffen in Brüssel fremd geblieben: Hier der Staatspräsident aus Ankara, der sein Land weiter fast schon absolutistisch beherrschen und dabei von europäisch-demokratischen Werten nur begrenzt etwas wissen will.

Dort die Union, die ihre Errungenschaften vor sich herträgt, aber nun unter Druck geraten ist. Beide sind aufeinander angewiesen. Denn nichts braucht die Gemeinschaft derzeit mehr als ein Signal, dass der Flüchtlingsstrom in absehbarer Zeit eingedämmt werden kann. Geld, politische Zusagen, gar eine neue Perspektive bei den faktisch zum Erliegen gekommenen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei - der Preis ist hoch. Seit Jahren werden gegebene Versprechen verdrängt. Nun bot die EU sie auf dem goldenen Tablett.

Die europäische Außenpolitik hat sich verändert. Denn die Einsicht, dass man funktionierende Strukturen in den Ländern Nordafrikas und des arabischen Raums nicht zerschlagen darf, hat sich durchgesetzt. Das abschreckende Beispiel heißt Libyen, wo man erst einen Diktator weggebombt hat und anschließend in einem Land, das im Bürgerkrieg versinkt, keinen machtvollen Ansprechpartner mehr hatte. So etwas nennt man Realpolitik. Oder auch schlicht den Versuch, über die Lösung gemeinsamer Probleme zusammenzurücken. Das mag akzeptabel erscheinen, so lange es nicht zur Erpressung kommt. Tatsächlich aber steht die Union mit dem Rücken zur Wand. Erdogan wusste das, als er gestern in Brüssel verhandelte und einen Aktionsplan herausschlug, der noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen wäre. Der Deal mag aufgehen, wenn die EU-Lenker sich in der kommenden Woche beim Gipfeltreffen zu diesen Maßnahmen bekennen. Aber ein fader Nachgeschmack bleibt. Weil die Union zur Marionette eines Mannes zu werden droht, der vor keinem Mittel der Machtpolitik zurückscheut. Die Türkei braucht nicht mehr zu tun, als die Millionen syrischer Flüchtlinge ungehindert durchzulassen, um Europa zu destabilisieren. Erdogan sitzt am Drücker. Schon die Zusage, rund eine halbe Million weiterer Flüchtlinge auf sicheren Wegen in die EU einreisen zu lassen, wird diese 28er-Gemeinschaft vor eine selten harte Bewährungsprobe stellen.

Dennoch blieb der EU keine Wahl. Nur so wahrte man sich die Chance, die Flüchtlingsfrage wenigstens perspektivisch zu entschärfen - und zu verhindern, dass Erdogan in der noch nicht erkennbaren Koalition, die auf den syrischen Machthaber Baschar al-Assad einwirken soll, auf die falsche Seite gerät. Um es anders zu sagen: Man musste sicherstellen, dass nicht nur die EU die Türkei, sondern die Türkei auch die EU braucht.

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