Doppelspiel mit dem Euro

Meinung · Der Dax schoss gestern schon in die Höhe, die Umfragewerte für Angela Merkel werden folgen. Ihr Euro-Rettungskurs hat gestern die höchstrichterlichen Weihen bekommen

Der Dax schoss gestern schon in die Höhe, die Umfragewerte für Angela Merkel werden folgen. Ihr Euro-Rettungskurs hat gestern die höchstrichterlichen Weihen bekommen. Die Kritiker innerhalb wie außerhalb der Koalition können den Kern ihrer Argumentation, dass Deutschland durch die Euro-Rettung indirekt seine Souveränität aufgebe und in eine Schuldenunion mit den Pleitestaaten bilde, nicht mehr aufrecht erhalten. Jedenfalls nicht unter Berufung auf das höchste deutsche Gericht. Den Verfassungsrichtern genügen einige Klarstellungen an den umstrittenen Gesetzen, ein paar Protokollnotizen.Das Gericht leistet mit seinem Spruch ungewollt aber auch einer großen Unaufrichtigkeit Vorschub. Denn die Regierung kann nun mit Rückendeckung aus Karlsruhe weiterhin so tun, als seien die Risiken beherrschbar und als habe der Bundestag alles unter Kontrolle. In Wahrheit wird zwar das Haftungsrisiko des Hilfsfonds ESM noch etwas eindeutiger begrenzt, auf 190 Milliarden Euro für Deutschland. Allerdings hat inzwischen die Europäische Zentralbank (EZB) beschlossen, Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen, und zwar unbegrenzt. Deutscher Anteil: 18,94 Prozent. Dieser EZB-Beschluss macht es zwar unwahrscheinlicher, dass ein Ausfall überhaupt entsteht - einfach deshalb, weil unbegrenzte Aufkäufe genau die oft zitierte "Bazooka" sind, die Spekulanten gegen die gemeinsame Währung in Schach halten kann. Andererseits aber kann das Ankaufprogramm, für das zunächst die Notenpresse angeworfen werden muss, Inflation auslösen. Das wird passieren, falls die EZB ihr Versprechen nicht einlöst, die für die Aufkäufe frisch gedruckten Milliarden an anderer Stelle wieder abzuziehen. Dann wäre jeder Deutsche durch den Wertverlust seines Geldes doch an dieser Art vergemeinschafteter Schulden beteiligt.

Die Karlsruher Forderung nach einer Mitbestimmung des Bundestages bei allen Rettungsaktionen läuft ebenfalls ins Leere, wenn das eigentliche Rettungsgeschäft nicht über den ESM, sondern über die Zentralbank erfolgt. Dort hat Deutschland nur eine einzige Stimme, Bundestag und Bundesregierung sind komplett draußen. Genau die beiden vom Verfassungsgericht monierten Punkte im ESM-Vertrag - klare Risikobegrenzung und klare Mitbestimmung des Parlaments - werden also via EZB umgangen. Das aber ist der Weg, den die Regierung stillschweigend duldet, den auch Angela Merkel akzeptiert.

Doppeltes Spiel auch bei der langfristigen Antwort auf die Krise. Die kann nur "Mehr Europa" heißen, das bedeutet: Aufgabe nationaler Souveränitäten. Eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, inklusive gemeinschaftlicher Schuldenhaftung - sonst kann das mit der Währung nicht funktionieren. Merkel hat das erkannt, sie verfolgt diesen Kurs beharrlich. Dass sie dabei kleine, vorsichtige Schritte geht, ist nicht zu kritisieren, sondern vernünftig. Nur tanzt sie gleichzeitig eben auch auf der Hochzeit derer, die da rufen: Kein deutsches Geld in Fässer ohne Boden, keine Aufgabe nationaler Kompetenzen. Ein Großteil der Wähler will das so hören, und Merkel mag öffentlich nicht widersprechen. So wie sie auch der CSU nicht widerspricht, die sogar mit "Weniger Europa" schon regelrecht Wahlkampf macht. Und nicht dem FDP-Vorsitzenden, für den die Solidarität mit Griechenland lieber heute als morgen enden sollte. Bloß: All das kommt aus einer Regierung, einer Koalition. Im Dezember will die EU über weitere Strukturveränderungen diskutieren; Kommissionspräsident Manuel Barroso spricht schon von einem "Staatenbund". Das ist der nächste, große Schritt. Wie positioniert sich Merkel dann, wie ihre Union? Reden sie Klartext noch vor der Bundestagswahl oder bleiben sie diffus wie ein Wackelbild? Die Märkte dulden solche Unwahrhaftigkeit nicht auf Dauer. Sie werden irgendwann austesten, ob die Europäer wirklich wie behauptet füreinander einstehen, ob sie tatsächlich eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik haben. Solange die Haltung der stärksten Nation auf dem Kontinent und ihrer Regierung nicht klar ist, wird die Krise Nahrung finden.

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