Die Zeit drängt

Die Misere der Flüchtlinge in Europa hat viele Gesichter. Auf den Inseln Kos und Lampedusa sind sie zu sehen. Aber auch im "neuen Dschungel", einem Lager am Rande der französischen Hafenstadt Calais.

Rund 3000 Menschen hausen dort unter erbärmlichen Bedingungen, um nachts einen Fluchtversuch nach Großbritannien zu unternehmen. Sie kommen aus Syrien, Libyen, dem Sudan oder Eritrea. Sie haben unter Lebensgefahr das Mittelmeer überquert, sind auf abenteuerliche Weise durch Europa gereist, um nun auf der anderen Seite des Ärmelkanals ihr Glück zu versuchen.

Seit wenigen Wochen ist das allerdings schwieriger geworden. Hunderte Polizisten mit Spürhunden, ein vier Meter hoher Zaun mit Stacheldraht obendrauf, Infrarotkameras und Flutlicht sollen jede Flucht verhindern. Viele Millionen gibt Großbritannien für Sicherungsanlagen aus, die schon fast an die frühere innerdeutsche Grenze erinnern. Oder an die Mauer zwischen Mexiko und den USA.

Großbritannien will die Flüchtlinge nicht haben, die da in Calais warten, um bei einer Überfahrt auf einem Lkw versteckt ihr Leben zu riskieren. Deshalb soll das Eingangstor zur britischen Insel noch schärfer bewacht werden. Das beschlossen gestern die Innenminister von Frankreich und Großbritannien. Wirklich abschrecken lassen werden sich die Flüchtlinge davon nicht, da sind sich die Hilfsorganisationen einig. Schon ist von neuen Fluchtwegen über Belgien und die Niederlande in Richtung Großbritannien die Rede.

Gefragt ist eine europäische Lösung des Flüchtlingsproblems. Frankreich und Deutschland wollen nun endlich einen weiteren Anlauf machen, um eine Antwort auf EU-Ebene zu finden. Gestern trafen sich bereits die Innenminister beider Länder, am Montag werden dann Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande zu einem Krisengespräch zusammenkommen. Wie bei vielen anderen Fragen gilt: Wenn die beiden Nachbarn sich einig sind, wird der Rest der EU mitziehen.

Frankreich hatte sich jedoch im Mai gegen den EU-Vorschlag einer Quotenregelung zur Aufteilung der Flüchtlinge gewandt. Die sozialistische Regierung will sich nicht auf Aufnahmezahlen festlegen lassen, um dem rechtsextremen Front National wenige Monate vor den Regionalwahlen kein Wahlkampfthema zu liefern. Eine europäische Lösung wird da schwer zu finden sein bis Dezember. Aber die Zeit drängt: Das Transitland Mazedonien hat gestern den Ausnahmezustand ausgerufen. Zusätzliche Soldaten sollen jetzt die Grenze zu Griechenland bewachen. Doch Militär, Zäune und Stacheldraht sind keine Antwort auf das humanitäre Problem der Flüchtlinge - nicht in Mazedonien, nicht in Calais und auch nirgendwo anders in Europa.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort