Die Vergangenheit reist mit Merkel nach Triest

Berlin/Rom. Deutsch-italienische Regierungsgespräche gelten eigentlich als Routine

Berlin/Rom. Deutsch-italienische Regierungsgespräche gelten eigentlich als Routine. Das Treffen von Angela Merkel und Silvio Berlusconi heute in Triest, zu dem auch eine ganze Reihe wichtiger Ressortchefs beider Länder anreist, fällt aus diesem Rahmen: Die Europäische Union steckt in einer Reformkrise, der Welt-Finanzmarkt mit Italien und Deutschland als wichtigen Akteuren muss vor dem Kollaps gerettet werden, und Berlusconi will das Klima-Paket der EU in der jetzigen Form stoppen. Über diesen aktuellen Themen schwebt auch noch ein Schatten aus der Vergangenheit, der die Justiz beider Länder und demnächst internationale Gerichte beschäftigt. Die Bundesregierung bereitet eine Klage gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag vor - ein eher seltener Vorgang zwischen EU-Partnern. Hintergrund sind Ansprüche von Opfern der Nazi-Massaker in Italien gegen Deutschland, die jetzt von italienischen Gerichten als rechtmäßig anerkannt wurden.Der kleine Toskana-Ort Civitella hat erst jüngst wieder die Kriegsgräuel mit großer Anteilnahme in Italien in die Gegenwart geholt. Deutsche Soldaten hatten hier 1944 einen Massenmord mit mehr als 200 Toten begangen. Gerichte sprachen jetzt Opfern und ihren Verwandten hohe Entschädigungszahlungen zu, für die letztlich der deutsche Staat gerade stehen müsse. In anderen Gerichtsfällen dieser Art war bereits von der Beschlagnahme deutscher Kultureinrichtungen in Italien die Rede.Eine Klage der Bundesregierung gegen diese Rechtsauffassung vor dem Kassationsgericht in Rom hatte keinen Erfolg. Der italienische Bundesgerichtshof urteilte vielmehr, dass wegen der besonderen moralischen Dimension der deutschen Kriegsverbrechen die sonst übliche "Staatenimmunität" nicht gelte. Das völkerrechtliche Prinzip besagt, dass kein Staat vor Gerichten anderer Staaten verklagt werden kann. Damit soll nach Kriegen Rechtsfrieden wiederhergestellt werden können. Nach italienischen Berichten gibt es in dem Land etwa 60 laufende Zivilverfahren gegen Deutschland. Die Zahl der potenziellen Kläger wird auf etwa 10000 beziffert.In der Bundesregierung und im Bundestag gibt es niemanden, der dieses Thema zu einem politischen Konflikt hochspielen will - im Gegenteil. "Wir stehen mit der Regierung in Rom in einem sehr guten und vertrauensvollen Dialog", sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts ganz diplomatisch. So wird es in Triest auch darum gehen, wie dieses schwierige Thema mit viel politischem Fingerspitzengefühl behandelt werden kann, um jenseits der rechtlichen Fragen "die fortbestehende moralische Verantwortung" Deutschlands zu zeigen. In einem ersten "symbolischen Akt" werden die beiden Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Franco Frattini ein ehemaliges Konzentrationslager in San Sabba bei Triest besuchen und mit Opfer-Vertretern sprechen.Die deutsch-italienische Tagespolitik - so die Hoffnung beider Seiten - soll davon nicht betroffen sein. Die nahtlose Übereinstimmung zwischen Rom und Berlin in EU-Fragen, die früher Standard war, lässt sich unter dem eigenwilligen Berlusconi sowieso nicht mehr so einfach herstellen. Die Kanzlerin will aber einen guten Draht zu dem starken Mann in Rom. Berlusconi übernimmt 2009 die Präsidentschaft der wichtigsten Industrieländer (G8). Er wird damit eine wichtige Rolle bei der Neuordnung der Finanzmärkte spielen.

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