Die unterschätzte Gefahr
Seit vier Wochen also schon wird der Deutsche Bundestag, das Herzstück unserer Demokratie, attackiert. Die Angreifer kamen nicht vermummt und bewaffnet, sondern still und heimlich über virtuelle Wege.
Vermutlich ist genau das das Problem: Die Gefahren erscheinen vielen noch immer zu abstrakt, als dass man sie allzu ernst nehmen müsste.
Doch das sollten wir. Denn eigentlich ist ja Folgendes passiert: Seit vier Wochen halten sich Einbrecher im Bundestag versteckt, kopieren womöglich geheime Dokumente und richten mutmaßlich schweren Schaden an. Waren es wirklich die Russen? Der IS? Nordkorea? Oder doch wieder die Amerikaner? Es ist ein unbekannter Feind, der weiterhin sein Unwesen treibt.
Wir wissen praktisch nichts. Außer, dass die Gefahr real ist, obwohl sie hartnäckig unterschätzt wird. Doch das ändert sich gerade. Einige Abgeordnete sprechen von einem "sehr ernsten Vorgang". Dennoch war es Zufall, dass ausgerechnet gestern im Bundestag über ein IT-Sicherheitsgesetz diskutiert wurde. Es soll Energieversorger, Banken und andere wichtige Unternehmen zu einem besseren Schutz vor Cyber-Attacken verpflichten. Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse wurde das Gesetz schnell auf Behörden erweitert.
Das alles ist überfällig. Pro Tag werden 15 bis 20 "hochwertige" Angriffe allein auf das Regierungsnetz abgewehrt. Doch es betrifft jeden: Schätzungen zufolge gibt es über 250 Millionen Schadprogramme, jeden Monat sollen in Deutschland eine Million Computer verseucht werden.
Es stimmt ja, solche Zahlen sind abstrakt, haben scheinbar keine großen Auswirkungen. Doch braucht es wirklich erst den großen Knall? Eine Attacke auf lebenswichtige Infrastruktur wie Kraftwerke, Krankenhäuser oder Verkehrssysteme halten Experten nur noch für eine Frage der Zeit. Schon 2008 soll ein Cyber-Angriff die Explosion einer Ölpipeline in der Türkei verursacht haben. Und in Deutschland wurde, von der Öffentlichkeit unbemerkt, im Vorjahr ein Stahlwerk attackiert und schwer beschädigt.
Das alles klingt harmlos im Vergleich zu den Folgen, die man sich lieber nicht vorstellen möchte, würde ein Atomkraftwerk angegriffen. Auch das ist kein irres Szenario mehr. Die USA und Israel haben mit einem Computerwurm schon die Urananreicherung im Iran verhindert.
"Das Internet ist für uns alle Neuland", hat die Kanzlerin vor zwei Jahren gesagt und dafür kübelweise Spott kassiert. Dabei hat sie Recht. Das Internet ist eine Parallelwelt, deren Äußeres wir gerne und viel nutzen, von deren Innenleben die meisten aber keinen Schimmer haben. Jede Erfindung ist Segen und Fluch zugleich. Es ist noch nicht ausgemacht, wie die Bilanz für das Internet in zehn, 20 oder 50 Jahren ausfallen wird. Fest steht bloß, dass jeder Einzelne mehr tun kann, um das Leben in und damit auch außerhalb der digitalen Welt sicherer zu machen.