Die überforderte Zentralbank

Meinung · Durch die Europäische Zentralbank geht ein Riss. Wie stark die Mitglieder in der - nach der US-Notenbank - wichtigsten Zentralbank der Welt gespalten sind, zeigte sich Ende vergangener Woche, als EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark seinen Rücktritt erklärte.Es ist ein Glaubensstreit, der die EZB spaltet

Durch die Europäische Zentralbank geht ein Riss. Wie stark die Mitglieder in der - nach der US-Notenbank - wichtigsten Zentralbank der Welt gespalten sind, zeigte sich Ende vergangener Woche, als EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark seinen Rücktritt erklärte.Es ist ein Glaubensstreit, der die EZB spaltet. Ein Streit darüber, ob die Bank ausschließlich dem Ziel dienen sollte, "die Kaufkraft des Euro und somit Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten", wie es auf der Internetseite der Bank definiert ist. Oder ob sie auch Maßnahmen ergreifen darf, um damit die Konjunktur zu stützen.

Seit Mai 2010 haben die Mitglieder der Bank die Oberhand gewonnen, die die zweite Linie verfolgen. Damals hat die EZB im Rahmen der Euro-Krise erstmals Anleihen notleidender Staaten gekauft. Die Aktion war verständlich - die Zinsen griechischer Anleihen erreichten damals erstaunliche Höhen. Es mussten klare Signale her, die EZB hat ein solches Signal gesetzt und so den Markt beruhigt.

Doch die Unschuld der Bank war damit dahin. Stets hatte die EZB wiederholt, die Unabhängigkeit von Geld- und Haushaltspolitik müsse streng getrennt bleiben. Nun war sie von der Politik abhängig. Der Anleihekauf im Mai sollte kein Einzelereignis bleiben, vor rund vier Wochen hat sie erneut eingegriffen und Italien und Spanien gestützt. 129 Milliarden Euro hat die Bank daraus in ihren Büchern.

Sicher, die Dramatik der Euro-Schuldenkrise spricht für die Aktion, doch die EZB fährt einen riskanten Kurs. Denn die stets beschworene Unabhängigkeit von der Politik ist verloren gegangen. Droht einem Staat die Pleite, wird die Bank jetzt kaum ablehnen können, erneut beizuspringen. Schlimmer noch - das Wissen darum, dass die Pleite abgewendet wird - sei es durch die EZB, sei es später durch den Euro-Rettungsschirm, nimmt den Staaten den Druck, effektive Sparmaßnahmen durchzusetzen. Die Puristen in der EZB - darunter auch der zurückgetretene Jürgen Stark, sind aber der Auffassung, erst solch ein Sparkurs würde die Länder wieder auf die Füße stellen.

Ob die EZB mit den Anleihekäufen volkswirtschaftlich ihre Kompetenzen überschreitet, darüber lässt sich trefflich streiten. Klar ist aber, dass sie eine Lücke stopft, die die Politik offen gelassen hat. Denn klare wirtschaftspolitischen Regeln hat Europa bisher nicht geschaffen. Die Krise hat gezeigt, dass sich die Konstruktion der EU ändern muss: Haushaltsfragen müssen zentralisiert werden, sonst wird Europa auf Dauer eine Transferunion bleiben - ohne echten Anreiz für verantwortungsvolles Wirtschaften. Und erst wenn solch eine Reform geschafft ist, wird die EZB den Geist "Anleihekäufe" wieder in die Flasche drücken und sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren können: Den Kampf gegen die Inflation.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort