Die SPD-Spitze und das "Genöle" von allen Seiten

Berlin. Nach der Empfindung von Andrea Nahles war 2010 für die SPD ein erfolgreiches Jahr. Allerdings vermisste die Generalsekretärin und erprobte Flügelfrau der Parteilinken manchmal jenes "Grundrauschen" von Auseinandersetzungen, das nach ihrer Meinung zu jeder lebendigen Partei gehört, erst recht zu ihrer. Jetzt rauscht es. Und zwar weit mehr als Nahles lieb ist

Berlin. Nach der Empfindung von Andrea Nahles war 2010 für die SPD ein erfolgreiches Jahr. Allerdings vermisste die Generalsekretärin und erprobte Flügelfrau der Parteilinken manchmal jenes "Grundrauschen" von Auseinandersetzungen, das nach ihrer Meinung zu jeder lebendigen Partei gehört, erst recht zu ihrer. Jetzt rauscht es. Und zwar weit mehr als Nahles lieb ist.Gleich mehrere führende Vertreter der Parteiflügel sorgten für Krach. Der Sprecher der Parteirechten vom "Seeheimer Kreis", Garrelt Duin, machte den Anfang mit einem Papier, in dem er der SPD vorwarf, auf Zeit zu spielen, Formelkompromisse zu machen und "Hü und Hott" zu sagen. "CDU und Grüne bestimmen die politischen Diskussionen, die SPD kommt kaum vor, ist und wird nicht gefragt." Die Partei stecke in einer schweren Identitätskrise. Namen nannte Duin wohlweislich nicht; er gilt als innerparteilicher Intimfeind des Vorsitzenden Sigmar Gabriel.

Duins Analyse wird von den Parteilinken geteilt. Deren Sprecher Björn Böhning meinte gestern in einem Interview, "dass wir bei einigen Themen zu sprunghaft gewesen sind". Und Hessens Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel, ebenfalls ein Linker, monierte die "kurzfristige Orientierung an der Kommentarlage der Hauptstadtpresse". Das zielte ganz klar auf den in dieser Hinsicht als besonders kurzfristig geltenden Gabriel.

Es gibt Unruhe und Unzufriedenheit an der Basis, und die hat damit zu tun, dass die Sozialdemokraten auch ein Jahr nach der verheerenden Bundestagswahl nicht nennenswert aus dem Umfragekeller gekommen sind. Von den Grünen wurden sie in einigen Befragungen sogar überholt, und die CDU legt nach einer Schwächephase dank des Wirtschaftsaufschwungs auch wieder zu.

Allerdings machten es die Kritiker der SPD-Parteiführung leicht, die Angriffe abzuwehren. Denn sie garnierten ihre Einschätzungen mit konkreten Forderungen, die von niemandem in der SPD unterstützt werden. Duin schlug vor, das Kindergeld um 30 Euro zu kürzen; damit könne man Kindergärten und Ganztagsschulen finanzieren. Und Schäfer-Gümbel regte an, den Spitzensteuersatz für Einkommen ab 250 000 Euro auf 60 Prozent anzuheben. Gleichzeitig solle die Beitragsbemessungsgrenze zur Sozialversicherung fallen. Die SPD müsse sich, so Schäfer-Gümbel, "klar und unmissverständlich zu einer Politik der Umverteilung bekennen".

Ein führender Genosse, der nicht genannt werden wollte, ätzte: "Leute, die so was vorschlagen, haben wohl keine Freunde. Sonst würden sie die zuerst fragen, und die würden sagen: Kumpel, lass mal lieber sein." Nahles sprach offen von. "Mondzahlen" bei Schäfer-Gümbels Steuervorschlag und nannte Duins Kindergeld-Idee "absolut kontrapoduktiv". Überhaupt sei die Kritik am Kurs der Parteiführung "platt", nichts anderes als "Genöle".

Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erklärte unmissverständlich, mit ihm werde es weder das eine, noch das andere je geben. In der Führung fürchtet man, dass schon mit der Debatte über solche Ideen die Landtagswahlen 2011 gefährdet werden. Erfolge dort sind aber von den Oberen als ein wichtiger Zwischenschritt fest eingeplant, um auch auf Bundesebene wieder Tritt zu fassen. Anfang Januar wollen Gabriel und Steinmeier nun ein Papier vorlegen, das die Schwerpunktthemen der SPD im Jahr 2011 benennt. Kindergeld und Spitzensteuersatz gehören dem Vernehmen nach nicht dazu.

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