Machtloses Führungsduo Die SPD profitiert auch in der Corona-Krise wenig

Berlin · Das ganze Dilemma der SPD ließ sich vergangenen Donnerstag bei einer ziemlich anlasslosen Pressekonferenz im Berliner Willy-Brandt-Haus beobachten. Er wolle erreichen, sagte Parteichef Norbert Walter-Borjans erfrischend offen, „dass die sozialdemokratische Komponente deutlich wird“.

Im Moment eher Zuschauer: Die neuen SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

Im Moment eher Zuschauer: Die neuen SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Tatsächlich hat die SPD bisher nichts von der Anerkennung, die die große Koalition für ihre Krisenpolitik beim Volk erfährt. Sie dümpelt bei 15 Prozent, nur die Umfragewerte der Union schießen nach oben.

„Es ist offenbar so, dass immer der größere Partner mehr profitiert“, räumte Walter-Borjans etwas resigniert ein. Dann gab er das Wort weiter an Olaf Scholz, der immerhin ein paar Zahlen zur bisherigen Nutzung der Kreditprogramme zum Besten geben konnte. Ausgerechnet Scholz, der in der Stichwahl um den Parteivorsitz gegen Walter-Borjans und seine Co-Vorsitzende Saskia Esken unterlegen war. Der Finanzminister und Vizekanzler ist derzeit der große Held der SPD, präsent auf allen Kanälen. Würde die Bevölkerung nach dem geeigneten SPD-Kanzlerkandidaten gefragt, sie würde wohl auf Scholz zeigen.

Neben ihm profiliert sich noch Arbeitsminister Hubertus Heil mit dem Kurzarbeitergeld. Alle anderen SPD-Minister rangieren unter ferner liefen. Außenminister Heiko Maas leidet darunter, dass Außenpolitik derzeit de facto nicht stattfindet. Die Rückholaktion für Urlauber ist eher eine organisatorische Operation. Familienministerin Franziska Giffey und Justizministerin Christine Lambrecht versuchen sich so oft es geht mit Corona-Randthemen zu melden, etwa zum Mieterschutz oder zum Kinderzuschlag, dringen aber kaum durch. Und Umweltministerin Svenja Schulze wurde sogar von der eigenen Parteiführung vergessen, als die die Leistungen der SPD-Kabinettsmitglieder in einer Rundmail an die Basis auflistete. Dass es darin hieß, es seien „vor allem unsere starken Ministerinnen und Minister, die Vorschläge entwickelt haben und jetzt Tempo machen“, kam auch beim Koalitionspartner CDU/CSU nicht gut an.

Selbst der einfache Abgeordnete Karl Lauterbach, auch er war ein Mitkonkurrent um den Parteivorsitz, wird derzeit öfter gefragt als die beiden neuen Parteichefs. Denn er ist Gesundheitsexperte. Walter-Borjans und Esken führen ein Schattendasein. Ihr zentrales Versprechen, in der großen Koalition SPD-Positionen durchzusetzen und das Regierungsbündnis zur Not platzen zu lassen, ist derzeit komplett von der Tagesordnung gestrichen. Das Heft des Handelns liegt bei der Exekutive, nicht bei Parteiführern. Die SPD-Chefs sind nicht einmal dabei, wenn die Kanzlerin mit ihrem Krisenkabinett oder den Ministerpräsidenten über Kontaktverbote, Schließungen oder Hilfsprogramme entscheidet.

Wenn die gröbste Infektionswelle überstanden ist, dürfte die Debatte um die Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Corona freilich wieder aufleben. Bisher hat die SPD dafür noch kein Konzept. Auch ist nicht erkennbar, dass die Vorsitzenden einen Diskussionsprozess dazu angestoßen hätten. Im Gegenteil: Unabgestimmt sprach sich Walter-Borjans jüngst für europäische Corona-Bonds aus, und Esken versuchte sich mit einem Vorstoß für eine „Corona-Sonderabgabe“ für Reiche. Es wirkte, als versuchten die Vorsitzenden von der Zuschauertribüne aus ein wenig mitzuspielen. Vor allem Scholz lehnt beide Ideen strikt ab. Und er ist jetzt der starke Mann der Partei. Nach der Krise muss die SPD nicht nur Inhalte neu klären. Sondern erneut die Machtverhältnisse.

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