Die sozialdemokratischen Wiederkäuer

Berlin. Von einer akuten Regierungskrise ist nichts bekannt, Neuwahlen stehen auch nicht an. Wenn die Oppositionspartei SPD trotzdem schon jetzt ein Papier diskutiert, das in Länge und Stil einem Regierungsprogramm gleicht, dann kann das nur einen Grund haben: Selbstbeschäftigung. Vielleicht auch Selbstvergewisserung. In jedem Fall etwas Internes

Berlin. Von einer akuten Regierungskrise ist nichts bekannt, Neuwahlen stehen auch nicht an. Wenn die Oppositionspartei SPD trotzdem schon jetzt ein Papier diskutiert, das in Länge und Stil einem Regierungsprogramm gleicht, dann kann das nur einen Grund haben: Selbstbeschäftigung. Vielleicht auch Selbstvergewisserung. In jedem Fall etwas Internes. Denn nichts von dem, was da auf 43 Seiten steht, wird Wirklichkeit werden. Allenfalls kann es 2013 Teil eines Wahlprogramms des künftigen Spitzenkandidaten sein.Das vergangene Jahr haben die Sozialdemokraten damit verbracht, die schwer verdaulichen Teile ihrer Regierungszeit, vor allem Hartz IV und die Rente mit 67, immer neu durchzuwalken. Wie politische Wiederkäuer. Aber eine Botschaft nach vorn hatte man deshalb noch nicht, und die braucht man vor sieben wichtigen Landtagswahlen. Deshalb jetzt dieses gewaltige Programm mit dem gewaltigen Titel "Neuer Fortschritt und mehr Demokratie". Allerdings unterliegt das Papier dem üblichen sozialdemokratischen Missverständnis, wonach die Wählergunst zunimmt, je mehr gedankenschwerer Text mit möglichst vielen Spiegelstrichen aufgeschrieben und je intensiver er intern diskutiert wird. Warum können sie denn nicht in ein paar einfachen Sätzen sagen, was sie wollen und was nicht? Warum benennen sie bei ihren neuen Steuersätzen und Sozialabgaben nicht, wer dadurch um wie viel be- oder entlastet wird? Warum scheuen sie gewisse Themen, die Integrationsprobleme etwa (Stichwort Sarrazin), die innere Sicherheit (Stichwort Terror-Gefahr) oder die Sparnotwendigkeiten (Stichwort Schuldenbremse)? Weil sie sich nicht einig sind. Oder weil eine Aussage riskant wäre. Meist ist beides der Grund.

Bleibt noch das Thema des künftigen Spitzenkandidaten: Weit mehr noch als über Programme identifizieren die Wähler Parteien über Personen. Aber die Chef-Frage, die jede Partei vor einem solchen Superwahljahr klären sollte und mit Ausnahme der Linken auch geklärt hat (die FDP tritt übrigens allen Ernstes mit Guido Westerwelle an), haben die Sozialdemokraten peinlichst vermieden. Sonst müssten sie sich nämlich entscheiden und bekämen noch mehr internen Streit, der jetzt so hübsch verdeckt ist zwischen Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel. Ebenfalls weit mehr als über Programme erkennen die Wähler anhand ihrer Koalitionsabsichten, wohin eine Partei will. In den Ländern, wo jetzt gewählt wird, ist jedoch seitens der SPD alles möglich, von rechts bis ganz links. Nur unter einer grünen Bürgermeisterin in Berlin oder einem linken Ministerpräsidenten in Sachsen-Anhalt möchte man nicht gerne arbeiten.

So zeigt die diesjährige Neujahrsklausur der SPD, dass die größte Oppositionspartei immer noch nicht so weit ist, um Schwarz-Gelb aktiv herauszufordern, gar machtvoll in die Defensive zu drängen. Angesichts der schwachen Vorstellung der Regierungskoalition ist das keine gute Leistung. Die SPD hofft auf die regionale Gunst der Stunde, die ihr in Hamburg gewährt werden dürfte. Auf die Verdrossenheit, die bei den Wählern der Regierungsparteien in Baden-Württemberg besonders ausgeprägt sein könnte. Auf die Fehler der Gegner, die in Rheinland-Pfalz als CDU-Spendenaffäre daherkommen. Die Sozialdemokraten wollen im Strafraum abstauben und sich selbst so wenig wie möglich bewegen. Diese Strategie kann klappen. Muss aber nicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Den Streit um die Finanzierung der Bahn beleuchtet die "Neue Osnabrücker Zeitung": Eine Dividende von 500 Millionen Euro soll die Bahn im Jahr an den Bund abgeben. Der Streit darum zeigt, wie wichtig eine klare Finanzierung von Verkehrsträgern ist. Die Mi
Den Streit um die Finanzierung der Bahn beleuchtet die "Neue Osnabrücker Zeitung": Eine Dividende von 500 Millionen Euro soll die Bahn im Jahr an den Bund abgeben. Der Streit darum zeigt, wie wichtig eine klare Finanzierung von Verkehrsträgern ist. Die Mi
Die Ursachen des tödlichen Anschlags von Arizona beschäftigen zahlreiche Kommentatoren. So meint die "Ostsee-Zeitung" aus Rostock: Hass und Bigotterie im Land seien "allmählich ungeheuerlich", hat der Bezirkssheriff nach dem opferreichen Mordanschlag auf
Die Ursachen des tödlichen Anschlags von Arizona beschäftigen zahlreiche Kommentatoren. So meint die "Ostsee-Zeitung" aus Rostock: Hass und Bigotterie im Land seien "allmählich ungeheuerlich", hat der Bezirkssheriff nach dem opferreichen Mordanschlag auf