Uhrumstrellung Bleibt bei der Sommerzeit doch alles beim Alten?

Brüssel · Es sah so einfach aus. Die EU-Kommission schafft die zweimal jährliche Fummelei an den Uhren ab. Die Mitgliedstaaten sagen, ob sie lieber die winterliche Normalzeit behalten oder dauerhaft im Sommerzeit-Alter leben wollen, und schon sind Europas Bürger glücklich.

Zumal Brüssel sich auch noch auf eine Online-Befragung der Wähler berufen könnte. Doch seither ist genau genommen niemand mehr so wirklich glücklich mit dem Vorpreschen und schon gar nicht mit dem Beschluss selbst. Denn die Union und ihre Mitglied­staaten suchen fast schon verzweifelt nach Begründungen, warum sie das, was so lange gefordert worden war, nun auch wollen sollten. Denn die eigentlich spannende Frage lautet ja: ewiger Sommer? Oder dauerhafte Normalzeit? Nun hat der Verkehrsausschuss des EU-Parlaments gestern für eine Abschaffung der Zeitumstellung ab dem Jahr 2021 gestimmt. Die Vollversammlung des Parlaments wird voraussichtlich Ende März abschließend über die Frage abstimmen.

Es wirkt fast verkrampft, wenn die EU-Kommision auf die Vereinfachungen für die Verkehrsunternehmen verweist, weil Flüge und Züge, Busse und Schiffe künftig nicht mehr die Uhren umstellen müssen, wenn sie über die Grenze überqueren. Und auch der Hinweis, dass die Unternehmen, die ihre Geschäfte auf dem Binnenmarkt erledigen, sich leichter täten, wenn sie nicht zwei Mal im Jahr mit den Uhren durcheinander kämen, wird von den Betrieben bestritten. Nichts davon stimmt. Längst haben sich Airlines und Bahngesellschaften, Logistiker und Lieferanten auf das Miteinander von alter und neuer Zeit eingestellt. Mit solchen Argumenten arbeiten zu wollen, hieße, den Fehler bei der Erfindung der Sommerzeit zu wiederholen, als man fundamentale Energieeinsparungen versprach, die nie eintraten.

Es stimmt: Viele Menschen haben Probleme, wenn die Uhren – wie Ende dieses Monats – vorgestellt werden. Tiere verlieren für ein paar Tage ihren Rhythmus. Aber schon der Hinweis auf Probleme der Flora erscheint bestenfalls an den Haaren herbeigezogen. Wer ehrlich ist, gibt zu, dass die Frage nach der künftigen Zeit eher mit dem Lebensgefühl zusammenhängt. Sommerzeit klingt nach langen Abenden und mehr entspannter Freizeit in der Dämmerung. Dass sie mit nicht enden wollendem Dunkel im Winter erkauft wird, gehört allerdings zur Wahrheit dazu. Welche Folgen dies für das Gemüt hat, sollte man sich ebenso ausmalen. Und so erscheint die Abschaffung der Uhrenumstellung wie das Abhaken eines zwar lästigen, aber letztlich doch überflüssigen Themas. Es würde nicht überraschen, wenn im Kreis der Mitgliedstaaten am Ende eine Mehrheit für das Festhalten am gegenwärtigen Modell plädieren würde.

Noch weitaus wichtiger wäre eine weitgehende europäische Einigkeit. Dies ist aber – zumindest bisher – nicht abzusehen. Die Vorstellung, auf einer Reise von Paris über Den Haag und Berlin nach Warschau die Uhren im äußersten Fall gleich drei Mal umstellen zu müssen, hat etwas Gespenstisches. Könnte man den Zerfall dieser Gemeinschaft noch deutlicher demonstrieren? Genau darum geht es aber: Wie würden wir Deutschen uns verhalten, wenn die Bundesregierung – den ersten Äußerungen folgend – für die Sommerzeit eintritt, unsere Nachbarn aber mit Mehrheit für die Normalzeit plädieren? Lassen wir uns dann wider der politischen Überzeugung unserer Regierung zu einer Zeit zwingen, die wir eigentlich nicht wollen? Diese Fragen bergen so viel politischen Sprengstoff, dass man sich manchmal wünschen würde, das Fass wäre nicht geöffnet worden. Allem faktischen Unsinn der zweimal jährlichen Uhrendreherei zum Trotz.

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