Die Sieger der Herzen

Wer erinnert sich noch an den Beginn der Fußball-Europameisterschaft vor einem Monat? Streiks legten in Frankreich nicht nur den Bahnverkehr, sondern auch die Müllabfuhr teilweise lahm. Auf einen Sieg der "Bleus", der französischen Nationalmannschaft, wetteten damals zwar viele. Aber kaum einer glaubte an einen reibungslosen Ablauf des Turniers. Deutsche Fans verzichteten aus Angst vor Anschlägen auf die Reise ins Nachbarland. Die Fanmeile am Eiffelturm galt als eine Art Einladung an Terroristen , sich direkt vor dem Nationalsymbol in die Luft zu sprengen. Die Uefa erwog sogar Spiele in Geisterstadien, ohne Zuschauer.

Vier Wochen später hat Frankreich zwar den Titel nicht gewonnen, aber eine EM ohne größere Störungen veranstaltet. Es war ein Kraftakt mit 90 000 Polizisten und Wachleuten, den kaum ein anderes europäisches Land so routiniert bewältigt hätte. Denn die Angst spielte mit, als das Turnier am 10. Juni im Pariser Stade de France eröffnet wurde. In jenem Stadion, das gut ein halbes Jahr zuvor von Terroristen angegriffen worden war. Dass die EM trotzdem stattfinden würde, hatte Staatschef François Hollande schnell danach verkündet.

Weitermachen trotz allem, lautete die Botschaft. Sie war sogar unter Fußballfans höchst umstritten. Wie sollte der Spaß am Spiel angesichts einer solchen Bedrohungslage noch spürbar sein? Er war es. Die Stimmung in den Stadien war fröhlich. Und in den Kneipen, potenziellen "weichen Zielen" für Terroristen , blieb kaum ein Platz frei, wenn die französische Elf spielte. Am Tag nach dem Finale drehte sich alles um den Auftritt der Spieler, nicht um die Sicherheit. Es herrschte eine Normalität, die das Land dem Terrorismus abgetrotzt hat.

"Merci la France" sagte die deutsche Nationalmannschaft nach ihrem Ausscheiden. Eine Geste, die in Frankreich nicht unbemerkt blieb. Es gibt viele Gründe, sich beim Gastgeber zu bedanken. Dafür, dass das Land die EM unbeirrt vom Terror ausrichtete. Dass die Fans sich nicht davon abhalten ließen, massenhaft zu feiern. Dass es in Zeiten der Krise einen kurzen Sommertraum in Blau-Weiß-Rot gab.

Die EM war nur eine Atempause für eine geschundene Nation, der man den Titel gegönnt hätte. Nach den Sommerferien werden die Streiks gegen das Arbeitsrecht weitergehen. Der Wahlkampf wird Fahrt aufnehmen und mit ihm die Debatten um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die beste Strategie gegen den rechtsextremen Front National . Doch die "Blauen" haben gezeigt, was eine Mannschaft schaffen kann, die zusammensteht. Die Einsatz zeigt und Ehrgeiz. Die Fußballer haben vorgelegt. Nun muss das Land ihnen folgen. Allez les Bleus!

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort